Dylan & Gray
ist.
»Du hast doch gesagt, er mag Reisefotografie«, stelle ich fest.
»Denkst du eigentlich immer nur an andere?«, fragt Gray.
»Quatsch. Ich kann total selbstsüchtig sein.«
Er behauptet, das sei schwer zu glauben. Ich schaue auf die kurvige Straße, die sich durch das rote Tal windet und im Schatten eines Felshangs verschwindet. Mir gefällt besonders, wie die Linie sich in die flimmernde Ferne davonschlängelt, als wäre sie lebendig. Am liebsten möchte ich ihr hinterherjagen.
»Vor allem denke ich an die Leute, die ich noch treffen werde«, sage ich, »und wo mich die Zukunft hin verschlägt.« Ich zoome eine Felsnadel näher heran, die rosa-weiß geringelt ist wie ein Lolli.
»Tja, das möchten wir wohl alle gerne wissen«, sagt Gray.
Ich drücke auf den Auslöser und springe vom Autodach. »Aber das Geniale ist ja gerade, dass ich es nicht weiß. Mein Leben war immer total voraussagbar«, erkläre ich. »Jetzt will ich einfach eine Weile von der Zukunft träumen.«
Gray schaut mich ein paar Sekunden nachdenklich an. Dann nickt er, dreht sich um und steigt wieder in den Wagen.
Als wir die Stadt erreichen, halten wir an einem Café, das den poetischen Namen ›Brew with a View‹ trägt. Es hat erdbraun getünchte Wände und hohe Glasfenster, von denen aus man auf den knallroten Bell Rock schaut. Ich lehne mich über den Tresen und frage den Kellner, ob er hier aus der Gegend kommt. Dann bitte ich ihn, uns einen Tipp zu geben, wo wir unseren Tag in Sedona verbringen sollen. Auf der Fahrt hierher habe ich Gray schon erzählt, dass ich aus Prinzip keine Reiseführer lese. Wie soll man echte Erlebnisse haben, wenn man sich inmitten einer Touristenmeute befindet? Das ist für mich kein Reisen, sondern eine andere Form des Schlangestehens. Wenn man die besten Plätze finden will, muss man die Einheimischen fragen.
Der Kellner grinst uns an. Seine Zähne leuchten weiß in einem von der Sonne gegerbten Gesicht. »Was wollt ihr denn sehen?«, fragt er.
Das Gleiche, was ich immer sehen will. »Einen Ort, den ich nie mehr vergesse«, sage ich. Der Kellner wechselt einen Blick mit Gray.
»Eine Optimistin«, stellt er fest.
»Glauben Sie mir, das ist noch untertrieben«, sagt Gray.
»Ich möchte wissen, wo die Geheimtipps liegen«, sage ich, »nicht die Touristenfallen.«
Der Kellner zögert einen Moment, dann schnappt er sich eine braune Papiertüte vom Tresen und zeichnet uns eine Karte. Wie ich über seine Schulter lese, führt der Weg zu einem Vortexstrudel in einer Felsformation, die Heather’s Kliff genannt wird. Der Kellner erklärt uns, dass Touristen sich selten dorthin verirren, aber die Einheimischen den Ort zum Meditieren benutzen. Ich frage, ob wir mit Fahrrädern hinkommen, und er nickt. Nachdem ich mich bedankt habe, greife ich nach Grays Hand und wir spazieren los. Ich studiere die gezeichnete Karte.
»Was ist denn ein Vortexstrudel?«, frage ich laut vor mich hin. Ich hatte keine Antwort erwartet, aber Gray erklärt, dass damit Energieknotenpunkte gemeint sind, von denen es in Sedona ungewöhnlich viele geben soll.
»Okay, und was ist ein Energieknotenpunkt?«, frage ich und erfahre, dass magnetische Ströme die Erde durchlaufen und ihre Bahnen sich angeblich an bestimmten Stellen kreuzen. Sedona ist ein solcher Ort. Die Leute behaupten, er habe heilende Kräfte.
Auf unserem Weg zum Fahrradverleih kommen wir an Shops voller Pendel und Kristalle, an esoterischen Buchläden, Reiki-Zentren und Akupunkturpraxen vorbei.
Ich frage Gray, ob er daran glaubt, und er zuckt mit den Schultern.
»Mit New Age kann ich nicht viel anfangen«, sagt er, fügt aber hinzu, dass Leute aus der ganzen Welt nach Sedona reisen, um hier zu meditieren oder zu beten. Er erklärt, dass Vortexe eine enorme spirituelle Kraft haben sollen. An diesen Orten fühlt man eine besondere Verbundenheit mit allem um sich herum, und wenn man lange genug still sitzt und in sich hineinlauscht, bekommt man vielleicht Antworten auf seine Fragen.
Wir gehen in den Buchladen »Goldene Worte« und ich kaufe ein Handbuch über die Vortexe von Sedona, das von einem Einheimischen verfasst wurde. Außerdem schenke ich Gray eine Fotopostkarte, auf der ein Auto zerquetscht unter einem riesigen Kaktus liegt. Für meine Mom kaufe ich einen Silberring und für meine Schwester ein Lesezeichen, auf dem der berühmte Cathedral Rock zu sehen ist, der wie eine rot leuchtende Kathedrale aussieht. Gray überreicht mir eine Postkarte vom Snoopy
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