Dylan & Gray
aus meiner Musikanlage durch das geöffnete Fenster in die Nacht. Wenn ich mich auf die Musik konzentriere, muss ich nicht über mein schlechtes Gewissen nachdenken. Am liebsten würde ich wieder mit dem Rauchen anfangen. Vergiftete Atemzüge für meine vergifteten Gedanken. Ich hasse das Gefühl, dass ich meine Worte nicht zurücknehmen kann. Ich würde Dylan nie schlagen oder ihr wehtun, aber mein verbaler Angriff hat bestimmt genauso geschmerzt. Wie soll man nach so etwas schlafen können? Das Sandmännchen mag keine Leute mit schlechtem Gewissen. Solange ich mich nicht entschuldigt habe, wird es einen verächtlichen Bogen um mich machen.
Ich parke den Wagen bei der Villa und starre auf die dunklen Fenster. Dann stelle ich den Motor ab, gehe um das Haus herum und hebe ein paar Kiesel von der Gartenlandschaft rund um die Terrasse auf. Ich werfe den kleinsten gegen ihr Fenster, wo er hörbar abprallt. Das mache ich übrigens nicht zum ersten Mal. Steinchenwerfen ist unser altmodischer Telefonersatz.
Beim nächsten Kiesel geht in ihrem Zimmer ein gedämpftes Licht an. Dylan zieht den Vorhang zurück und ich sehe ihre dunkle Silhouette am Fenster.
Natürlich weiß sie, wer hier unten steht. Sie braucht nicht zu fragen oder überhaupt mit mir zu sprechen. Möglich, dass sie störrisch und nachtragend ist und mich wütend auf Abstand hält. Ich schließe die Augen und schicke ein Stoßgebet zum Himmel. Das Leben ist zu kurz, um lange beleidigt zu bleiben. Wir haben nur noch ein paar Wochen zusammen. Während ich darauf warte, ob sie zu mir herunterkommt, feile ich noch einmal an meiner Entschuldigung.
Aber sie macht es mir leicht. Kurz darauf sitzen wir auf der Gartenbank, sie hat den Kopf auf meinen Schoß gelegt und hört meiner vorbereiteten Rede zu. Ich sage, dass sie absolut recht hatte. Als einziger Mensch in meinem Leben war sie mutig genug, mich mit der Wahrheit zu konfrontieren. Das ist nicht nur ein Spruch, um sie zurückzugewinnen, sondern ich meine es total ernst. Ich erzähle, dass ich eine Stunde damit verbracht habe, im Internet alle Therapeuten durchzugehen, die Phoenix zu bieten hat. Als Nächstes habe ich vor, mit meinen Eltern zu sprechen. Um in die Gänge zu kommen, brauchte ich aber erst einen kräftigen Tritt. Ich bin dankbar, dass sie mich genug liebt, um mir auch unangenehme Dinge zu sagen.
Sie liegt halbwach in meinem Schoß und im Mondlicht strahlt ihr Gesicht eine engelhafte Ruhe aus. Ich streiche mit dem Finger über ihre glatte Haut, die sich wie warmes Porzellan anfühlt. Als Letztes sage ich, wie leid es mir tut, dass ich ausgeflippt bin. Ich habe nichts von dem gemeint, was ich ihr an den Kopf geworfen habe. Dylan richtet sich schläfrig auf und blickt mich mit halb geöffneten Augen an.
»Ich liebe dich, Gray«, sagt sie, »und ich finde es bewundernswert, dass du dich um deine Eltern kümmerst. Aber wenn du deswegen in Phoenix feststeckst, wo du jede Minute hasst, dann hilft das niemandem.«
»Ja, ich weiß«, sage ich, lasse den Kopf gegen die Lehne sinken und starre in den Himmel. Man kann Worte einfach an sich vorbeirauschen lassen. Wirklich auf sie zu hören, ist viel schwerer.
»Du kannst kein Ersatzleben für deine Eltern führen. Und du bist auch nicht für ihr Glück verantwortlich. Daran müssen sie schon selbst arbeiten. Jetzt hast du erst einmal die Pflicht, für deine eigenen Bedürfnisse zu sorgen. Das ist schwer genug.«
Ich nicke.
»Wenn deine Schwester hier bei uns sitzen würde, was hätte sie ihrer Familie wohl zu sagen?«
Ich seufze und meine Nasenwurzel prickelt von unterdrückten Tränen. Amanda würde mich aus dem Haus jagen, damit ich an die Uni gehe. Unserer Mom würde sie einen Vortrag halten, warum man vor Problemen nicht weglaufen kann, indem man sich mit Arbeit zuschaufelt. Unserem Dad würde sie sagen, dass er mit den ganzen Geschäftsreisen aufhören und sich endlich wieder nach Hause trauen soll.
»Weißt du, was ich an dir echt bewundere?«, sagt Dylan. »Deinen Lebensmut. Du lässt dich nicht unterkriegen. In Wirklichkeit bist du stärker, als du dir selbst zutraust. Aber das glaubst du nicht, außer man stößt dich mit der Nase darauf.«
Ich schüttele den Kopf und sage, dass sie übertreibt. Sie sieht in Menschen immer nur das Beste.
»Mein Vater hat uns sitzen lassen, als ich klein war«, sagt Dylan.
»Was?« Ich kann kaum glauben, dass sie das in all der Zeit nicht erwähnt hat. Aber Dylan behauptet, das sei nicht so wichtig, weil sie
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