Dylan & Gray
habe ich total durchschaut.«
Ich muss lächeln und schiebe meine Baseballkappe höher auf die Stirn. »Ach ja? Wie bin ich denn wirklich?«
»Du bist ein berechnendes Arschloch, das die Frauen reihenweise flachlegt«, behauptet sie. Ich nicke und sage, stimmt absolut, ich hätte mich selbst nicht besser beschreiben können. Aber diese Reaktion macht sie nur noch wütender.
»Du weißt genau, dass Amber in dich verschossen ist«, knurrt sie und piekt mir ihren Finger in die Brust. Das tut tatsächlich weh, aber ich beherrsche mich und zucke nicht zusammen. »Also hör auf, mit ihr rumzuflirten!«
»Ich habe sie noch nie berührt. Und ich habe sie kein einziges Mal nach einem Date gefragt. Flirten ist für mich was anderes.«
»Aber sie ist verschossen in dich!«, wiederholt Melissa mit ihrer betrunkenen Jaulstimme, die mir wirklich auf die Nerven geht. Wieso müssen Mädchen immer gerade dann anfangen, hochsensible Gespräche zu führen, wenn sie vor Promille kaum noch reden können? Nach meiner Erfahrung verwandelt Alkohol die meisten Jungs in sexbesessene Idioten und die meisten Mädchen in hysterische Irre, aber trotzdem marschieren sie ausgerechnet in die nächstbeste Campusparty, um dort nach der wahren Liebe zu suchen. Und dann wundern sie sich, warum ihre Beziehungen nicht halten.
Ich schaue Melissa stirnrunzelnd an. Anscheinend wird gerade meine Nettigkeit dazu führen, dass ich einen fiesen Ruf bekomme. Alle werden mich für einen skrupellosen Playboy halten, bloß weil ich keinen Sex mit Amber McCaphrey haben wollte. Und wenn ich doch mit ihr ins Bett steige, bin ich erst recht ein skrupelloser Playboy, weil ich sie benutzt und weggeworfen habe. Am Ende werde ich auf jeden Fall als Verlierer dastehen.
Jemand tippt mir auf die Schulter und als ich mich umdrehe, ist Amber wieder zur Stelle und startet Phase Zwei ihres Eroberungsplans. Frisch aufgehübscht steht sie vor mir, mit einem roten Plastikbecher in der einen Hand und ihrem Handy in der anderen. Sie wirft sich den Pferdeschwanz über die Schulter.
»Na, worüber redet ihr gerade?«, fragt sie mit unschuldigen blauen Augen, obwohl klar ist, dass mein Gespräch mit Melissa ein Teil ihrer Strategie war. Ich weiß, wie Mädchen ticken. Wahrscheinlich haben sie und ihre Busenfreundin am Bierfass gestanden und zusammen ausgeheckt, wie sie mich in die Knie zwingen können.
Ich beschließe, es mit Ehrlichkeit zu versuchen und Amber abzuschießen. Schließlich will ich kein Mistkerl sein, indem ich nett bin.
»Amber … «
Da werde ich von Miles unterbrochen.
»Gray, hier ist ein Anruf für dich«, brüllt er über die Musik hinweg.
Amber zerrt an meinem Arm. »Wir müssen reden«, fordert sie, »und zwar sofort.«
Ich seufze und wende mich Miles zu. »Wer ist dran?«
Er zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung, ’ne Frauenstimme.«
Ich hatte ganz vergessen, dass wir überhaupt einen Festnetzanschluss haben. Eigentlich wollten wir nur einen günstigen Kabelvertrag und da war Telefon eben mit drin. Bestimmt ist es meine Mutter.
»Sag ihr, dass ich zurückrufe.« Ich blicke wieder auf Amber, die gerade damit beschäftigt ist, ihren Zeigefinger auf meinem Ärmel kreiseln zu lassen.
Am besten sollte ich ihr ganz klar sagen, dass ich sie nicht mag. Vielleicht könnte ich sie sogar nett finden, wenn sie weniger krampfhaft versuchen würde, mich zu beeindrucken. Ständig spielt sie mir etwas vor. Warum kann sie nicht einfach sein, wie sie wirklich ist? Stattdessen starrt sie mich mit liebeskranken Augen an, aber damit erreicht sie nur, dass ich Dylan noch mehr vermisse. Diesen typischen Mädchenblick hätte sie nie aufgesetzt. Fast jeder Satz, den Amber sagt, beginnt mit »Ich«. Ein größerer Gegensatz zu Dylan lässt sich kaum denken. Je mehr Mädchen ich kennenlerne, desto klarer wird mir, dass ich in Phoenix ein echtes Juwel entdeckt habe.
Außerdem hat Amber sich noch eine Reihe anderer Minuspunkte eingehandelt. Ich will ja nicht kleinlich sein, aber sie weigert sich, PacMan zu spielen, weil das eine sinnlose Beschäftigung ist. Sinnlos? PacMan ist wie eine Metapher für das menschliche Dasein. Außerdem kann sie Bob Dylan nicht leiden. Sie findet seine Stimme nasal und weinerlich. Hat sie nie auf seine genialen Texte geachtet? Bob Dylan ist ein Halbgott, eine religiöse Offenbarung.
Einmal habe ich absichtlich Amandas Namen ins Gespräch einfließen lassen, um zu sehen, wie Amber reagiert. Sie ist vor Peinlichkeit fast unter den Tisch
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