Dylan & Gray
Ich hatte vergessen, dass Gray nicht der Typ für einfache Gespräche ist. Aber wie soll ich das Chaos in meinem Kopf in Worte fassen, wenn ich es selbst kaum durchschaue? Meine Gedanken wirbeln in hundert verschiedene Richtungen und mein Gehirn erinnert an ein Flipchart beim Gruppen-Brainstorming. Es ist so voller Stichworte, dass sie schon über das Papier hinausschießen.
»Dylan?«, fragt Gray.
»Tut mir leid«, sage ich, »aber ich habe ehrlich geglaubt, dass es besser ist, wenn ich dir Zeit lasse. Deshalb habe ich nicht angerufen. Ich wollte, dass du die Chance hast, dich richtig einzuleben.«
Natürlich versteht Gray, worauf ich hinauswill.
»Du meinst, du wolltest mir Zeit geben, dich zu vergessen? Hältst du mich wirklich für so oberflächlich? Nach allem, was zwischen uns gewesen ist, werde ich mich wohl kaum an die erstbeste Studentin ranschmeißen, nur weil du nicht anrufst.«
»Ich weiß«, höre ich mich selbst zaghaft sagen. So kenne ich mich gar nicht. Ich sinke tiefer auf meinem Stuhl zusammen.
»Vielleicht war es wirklich keine gute Idee, gleich mit diesem Thema anzufangen«, stellt er fest. »Small Talk hat seine Vorteile.« Ich nicke stumm und meine Augen werden feucht. Eigentlich will ich alles über ihn wissen. Wie er seine Tage verbringt. Wo er wohnt und wo er schläft. Welche Freunde er hat. Aber meine Gefühle rauben mir die Stimme.
»Also, wie soll es jetzt weitergehen?«, fragt er.
»Ich habe keine Ahnung, ehrlich«, sage ich.
Eine Weile höre ich nur seinen Atem und stelle mir vor, sein Gesicht vor mir zu sehen. Und seine Augen. Kaum zu fassen, wie sehr ich seine Augen vermisse.
»Okay, dann sage ich dir, was passiert«, sagt er und übernimmt das Kommando, solange er die Gelegenheit hat. »Wir beide werden uns wiedersehen, weil die Sache zwischen uns nämlich nicht vorbei ist.« Er erklärt, dass er zu Weihnachten drei Wochen Ferien hat und nach Kalifornien kommen wird, um für diese Zeit bei mir zu wohnen.
»Das wird nicht funktionieren«, sage ich. Weil ich nämlich bei den Besitzern des Cafés untergekommen bin, in dem ich meinen Job habe. Sie haben mir angeboten, bei ihnen über dem Laden einzuziehen. Dafür muss ich am Wochenende auf ihre beiden kleinen Kinder aufpassen. »Ich schlafe in einem der Kinderzimmer, weil es nichts kostet und ich pleite bin«, erkläre ich Gray.
»Okay«, sagt er. »Dann übernachte ich eben im Auto.«
»Gray, der Ort liegt in den Bergen, hier gibt es Minustemperaturen und du hast nicht mal warme Kleidung«, widerspreche ich ganz logisch. Was für mich sehr untypisch ist.
»Seit wann bist du so logisch?«, fragt er auch gleich. »Außerdem brauche ich überhaupt keine Kleidung. Du kannst mit mir in den Schlafsack krabbeln und mich warmhalten.« Ich seufze tief, weil er sich nicht abschrecken lässt. »Oder du kommst nach Phoenix und wohnst über Weihnachten wieder bei deiner Tante«, schlägt er als Nächstes vor. Ich knabbere an meiner Unterlippe. Daran hatte ich auch schon gedacht, aber es würde nur zu neuen Problemen führen.
»Und danach?«, frage ich.
»Wie meinst du das?«
Ich will wissen, wie es nach Weihnachten weitergehen soll, und er sagt, darüber können wir uns den Kopf zerbrechen, wenn es so weit ist.
»Fernbeziehungen halten doch nie«, sage ich.
In der Leitung herrscht Schweigen. Mein Magen zieht sich zusammen. Wir wissen beide, dass jetzt nur noch eine Möglichkeit übrig bleibt.
»Soll das heißen, wir machen Schluss?«, fragt er. Meine Finger krampfen sich um den Hörer. Ich finde es schrecklich, ihn in diesem Moment nicht sehen zu können. Mir war vorher nicht bewusst, dass dieses Gespräch unser letztes sein würde. Ich dachte, ich hätte ihn angerufen, um Hallo zu sagen, aber anscheinend war der Zweck, mich zu verabschieden.
»Ist es vorbei?«, fragt er.
»Ich hasse solche Gespräche am Telefon. Das fühlt sich einfach nicht richtig an«, sage ich und meine Stimme beginnt zu zittern.
»Tja, dein Pech.«
Die Tränen brennen mir wie Säure in den Augen.
Ich erkläre Gray, dass ich genau aus diesem Grund nicht anrufen wollte. Eigentlich hatte ich gehofft, er sei durch alles Mögliche abgelenkt – Unikurse, neue Freunde, Sporttraining – und würde kaum merken, dass er mich immer mehr vergisst.
»So läuft das bei mir nicht, Dylan. Ich bin nicht der Typ, der sich einfach denkt: Aus den Augen, aus dem Sinn.«
Inzwischen laufen mir die Tränen in Strömen übers Gesicht. Ich weiß doch, wie Gray tickt. Wie ist
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