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Dystopia

Dystopia

Titel: Dystopia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lee
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fuhren, kam nur in Hollywoodfilmen vor. Im wirklichen Leben setzten Profi-Chauffeure den wesentlich sinnvolleren Trick mit den Umwegen ein.
    Bethany, die inzwischen einen ziemlich übermüdeten Eindruck machte, massierte sich die Schläfen. «In meiner ehemaligen Branche gibt es für diese Art Absicherung einen Fachbegriff. Haben Sie schon mal das Wort Oubliette gehört?»
    «Ehrlich gesagt, nein.»
    «Es ist eine Art von Kerker. War eine Art von Kerker, im Mittelalter. Ein Kerker ohne Gitter, ohne Mauern, ohne Tür und ohne Riegel. Die einfachste Sorte bestand aus einer offenen Plattform, die, sagen wir mal in dreißig Metern Höhe, seitlich aus der Burgmauer ragte. Der Gefangene wurde von oben darauf hinabgelassen und war damit ebenso todsicher eingekerkert wie hinter Schloss und Riegel: von nichts als offener Luft.» Sie deutete mit dem Kopf auf das Hochhaus. «Das Gebäude da ist eine Art Oubliette für Informationen. Nicht, weil seine Identität durch Firewalls oder knifflige Verschlüsselungsalgorithmen geschützt wird, obwohl ich davon ausgehe, dass so was hier auch eingesetzt wird. Nein, der eigentliche Schutz besteht lediglich aus Lücken, aus Luft. In allen Dokumenten, von denen aus Spuren hineinführen, klafft immer an den entscheidenden Stellen eine Lücke. So etwas lässt sich nur bewerkstelligen, wenn man über die richtigen Beziehungen und jede Menge Geld verfügt. Genug Geld, um Vorschriften und Richtlinien für sich selbst außer Kraft zu setzen.»
    Travis beobachtete, wie ein weiterer Geländewagen in die Einfahrt abbog. Der Fahrer mit dem militärischen Haarschnitt sah aus wie ein kräftiger Footballspieler. Vielleicht war er ja ein ehemaliger Soldat und Athlet.
    «Das FBI können wir vergessen», sagte Bethany. «Jedenfalls solange wir nicht wissen, mit wem wir es zu tun haben.»
    Travis nickte, ohne das Gebäude aus dem Blick zu lassen.
    «Was ist mit Tangent?», fragte er. «Hatten die nicht ein paar Dutzend Filialen, auf der ganzen Welt verteilt? Eigene Elitekämpfer, top trainiert und bewaffnet, verteilt auf eine Reihe von Stützpunkten? Könnten wir nicht auf diese Leute zurückgreifen?»
    Bethany schüttelte bereits den Kopf. «Die Filialen gibt es nicht mehr. Weil sie ausschließlich zur Abwehr gegen Aaron Pilgrim dienten. Als diese Gefahr ausgeschaltet war, bestand dafür kein Bedarf mehr. Diese Mitarbeiter waren auch keine Tangent-Angehörigen im engeren Sinne, sondern militärische Eliteeinheiten aus den jeweiligen Ländern, die über Tangent und seine Aktivitäten nur ganz rudimentär aufgeklärt wurden. In den letzten beiden Jahren sind sie alle entlassen worden. Nach Unterzeichnung von Dokumenten natürlich, die sie zu strengem Stillschweigen verpflichten.»
    Beim Sprechen hielt sie den Blick auf ihre Hände gesenkt. Sie machte auf einmal einen unendlich verlorenen Eindruck.
    «Ich weiß nicht, was wir tun sollen», sagte sie. «Es gibt niemanden, den wir um Hilfe bitten können, und auf eigene Faust kommen wir da niemals rein. Das ist Ihnen klar, oder?»
    Travis starrte zu dem Hochhaus hinüber. Falls der Raum, in dem Paige festgehalten wurde, ein Fenster hatte und sie in der Lage war, an dieses Fenster zu treten, könnte sie ihn und Bethany theoretisch jetzt sehen – obwohl sie sie auf diese Entfernung wohl kaum erkennen würde.
    Er wandte den Blick ab. Sah stattdessen Bethany an.
    «Ja», sagte er. «Das ist mir klar. Der Laden dürfte von Sicherheitstypen mit automatischen Waffen bewacht werden, die bloß auf einen großen roten Knopf zu drücken brauchen, um das gesamte Gebäude abzuriegeln.»
    «Und wir sind im Vergleich dazu ein Kind, das mit einer Zwille bewaffnet ist.»
    Travis blickte Bethanys Rucksack an, der zwischen ihnen auf dem Tisch lag. Darin verborgen befand sich nach wie vor der zylindrische Gegenstand.
    «Womit wir genau bewaffnet sind, wissen wir noch nicht», gab er zu bedenken.
    Bethany nickte. «Finden wir es heraus.»

6
    Paige wachte an demselben Ort auf, an dem sie eingeschlafen war: auf dem Parkettboden eines kargen, leeren Büroraums im achten oder neunten Stock. Durch die getönten Fenster, die vom Boden bis zur Decke reichten, konnte sie Washington sehen. Sie lag in der Mitte des Raums, an Händen und Füßen mit Kabelbinder gefesselt.
    Jetzt war helllichter Morgen. In der Nacht hatte sie hier stundenlang wachgelegen und auf die Schritte gehorcht, die draußen im Flur kamen und gingen. Auch Stimmen hatte sie gehört, die vor der Tür in gedämpftem,

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