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E-Book - Geisterritter

E-Book - Geisterritter

Titel: E-Book - Geisterritter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Funke
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zurück zum Bus riss der Wind uns an Haaren und Kleidern, als hätten die verschwundenen Bewohner von Old Sarum sich zusammengetan, um uns von ihrem Hügel zu vertreiben. Bonapart ging vor mir und versuchte verzweifelt, sich das dünne Haar wieder über den kahlen Kopf zu streichen.
    »Ehm, Mr Bo … Mr Rifkin?«, sagte ich, während ich versuchte, mit seinen kurzen hektischen Schritten mitzuhalten. »WissenSie irgendetwas über William Longspees Mörder, diesen Hubert ehm …«
    »Hubert ehm«, wiederholte er mit unverhohlener Verachtung. »Hubert de Burgh, Regent von England, zweitmächtigster Mann nach Johann Ohneland, König von England. Ja, ich weiß allerdings so einiges über ihn. Und es ist keineswegs erwiesen, dass er Longspee vergiftet hat.«
    »Er war es ganz bestimmt«, gab ich zurück. »Aber das ist es nicht, was ich wissen will. Haben Sie je davon gehört, dass er Longspees Herz gestohlen hat?«
    Bonapart stieß zur Antwort nur ein kleines und sehr verächtliches Lachen aus. »William Longspees Herz wurde von Ela von Salisbury in der Abtei von Lacock bestattet«, antwortete er. »In einer Urne aus Silber, die das Wappen von Salisbury trug. Glaub mir, Whitcroft, Hubert de Burgh hatte Wichtigeres zu tun, als das Herz eines zweitrangigen und zudem unehelichen Königssohns zu stehlen.«
    Ich hätte ihm zu gern erzählt, was ich von Hubert de Burgh zu dem Thema gehört hatte, aber stattdessen murmelte ich nur ein: »Danke, Mr Rifkin. Wirklich interessant.« Und hoffte, dass der Wind ihm für das, was er über Longspee gesagt hatte, auch die letzten spärlichen Haare von seinem eingebildeten Schädel blies. Ich ärgerte mich, dass ich ihn überhaupt gefragt hatte. Aber wer sonst konnte mir etwas über das Herz erzählen?
    Als wir zur Schule zurückkamen, machte ich mich gleich wieder auf die Suche nach Ella, aber schließlich erfuhr ich von einem Mädchen in ihrer Klasse, dass sie nicht zur Schule gekommen war.Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, was mich daraufhin in die Schulkapelle trieb. Ich glaubte nicht an Engel, die man in Notzeiten zu Hilfe rufen kann, oder an Heilige, die nur darauf warten, einem Elfjährigen bei Geschichtstests oder in anderen Lebenskrisen zu helfen. (Angus glaubte ganz entschieden daran. Er wendete sich vor jedem Schultest an den Heiligen Angus Mac Nisse.)
    Nein, ich glaube, ich ging nur in die Kapelle, weil ich eine Weile für mich sein wollte. Normalerweise herrschte dort nicht gerade ein starker Andrang, und ich musste nachdenken: über Ella und Longspee und sein gestohlenes Herz. An Stourton verschwendete ich keinen Gedanken mehr. Ja, ich weiß. Nicht besonders klug. So schlau bin ich inzwischen auch …
    Wie auch immer. Ich setzte mich in eine der engen Holzbänke und zerbrach mir, während ich die bunten Glasfenster anstarrte, den Kopf darüber, wie ich Longspee doch noch helfen und mich wieder mit Ella vertragen konnte.
    Der Löwenabdruck in meiner Hand war erneut deutlicher geworden, aber ich sagte mir gerade, dass das wohl nicht von Dauer sein würde, wenn ich mich als Knappe weiter so nutzlos anstellte, als ich hinter meinem Rücken ein Rascheln hörte.
    Zuerst hielt ich den Jungen, der zwei Reihen hinter mir zwischen den Bänken stand, für einen meiner Mitschüler, auch wenn mich die altmodischen Kleider, die er trug, eigentlich gleich hätten stutzig machen müssen. Sein Gesicht kam mir irgendwie bekannt vor. Ich war ganz sicher, dass ich es schon gesehen hatte. Und als ich ihn mir genauer ansah, überlief mich plötzlich dasselbe Schaudern wie beim Anblick von Stourtons Knechten unter meinem Fenster. Hat man einmal einen Geist gesehen, dann sieht man sie immer öfter. Ich glaube, sie sind überall. Vielleicht sind sie der Grund, warum uns manchmal ganz plötzlich Wut oder Traurigkeit überkommt. Vielleicht vergehen Liebe, Angst und Schmerz nicht so leicht wie Mauern und Steine. Ja, die Menschen verschwinden wie der Palast und die Kathedrale auf dem Hügel von Old Sarum. Aber was, wenn das, was sie erlebt haben, bleibt? Wie ein Geruch oder ein Schatten unter einem Baum? Oder ein Geist …
    Ich habe inzwischen ein gutes Dutzend Geister gesehen. Man sieht sie nur, wenn sie es wollen, und ich schätze, für die meisten bin ich einfach nicht sonderlich interessant. Aber der Geist, den ich plötzlich in der Schulkapelle hinter mir stehen sah, hatte auf mich gewartet. Nur auf mich. Das wusste ich, sobald ich ihn bemerkte. Und während er auf mich zukam,

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