E-Book - Geisterritter
sicher, ich hatte nie zuvor in meinem Leben so dumm dreingeblickt, und ich hoffe, ich werde es nie wieder tun. Allerdings blickte der Vollbart auch nicht sonderlich klug drein, als er mich im Wohnzimmer seiner Mutter stehen sah.
»Oh Matthew, du hast ja immer noch diesen abscheulichen Bart!«, sagte Zelda, während sie sich mühsam vom Sofa erhob. »Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du damit wie ein Idiot aussiehst?«
»Du weißt, warum ich ihn behalte«, sagte der Vollbart, während er sich bemühte, einen halbwegs vernünftigen Ausdruck auf sein Gesicht zu zwingen. »Oder glaubst du, die Narbe ist inzwischen verschwunden?«
»Was für eine Narbe?«, murmelte ich.
»Ach. Nur ein kleiner Unfall, als er mir noch mit den Geistertouren half«, sagte Zelda, während sie dem Vollbart einen hastigen Kuss auf die Backe drückte. »Jon, erzähl du Matthew die ganze schreckliche Geschichte. Ich brauch einen Kaffee. Ich kann nicht mehr klar denken. Hab mich um das letzte bisschen Verstand geheult!«
Damit schnaubte sie noch mal in ihr Taschentuch. Und ließ mich mit dem Vollbart allein.
Für einen Moment schwiegen wir uns nur unbehaglich an. Ich konnte immer noch nicht fassen, dass er Zeldas Sohn war. Er störte sich nicht mal an den Kröten, was ich für einen Zahnarzt ziemlich erstaunlich fand!
»Na, wenn das keine Überraschung ist«, sagte er schließlich. »Also, was ist mit Ella? Hast du sie zu irgendeiner Dummheit überredet, wie du es so gern mit deinen Schwestern tust?«
Aha. Keine Tarnung. Offene Feindschaft. Das war mir nur lieb.
»Es wär ihr nichts passiert, wenn du nicht dafür gesorgt hättest, dass Mam mich hierher schickt!«, fuhr ich ihn an. »Wirklichklug, mich in eine Stadt zu schicken, in der ein toter Mörder auf mich wartet! Ohne Ella wär ich schon lange ebenfalls tot! Aber wie konnte ich wissen, dass er zurückkommt und sich sie und nicht mich greift?«
Viel Sinn ergab das natürlich nicht und der Vollbart verstand ganz offensichtlich kein einziges Wort. Aber zu meiner Genugtuung blickte er nun doch etwas beunruhigt drein.
»Wer hat sich Ella gegriffen?«
Ich gab ihm den Brief – und erzählte die ganze verdammte Geschichte noch mal. Der Vollbart fing die Kröten ein, während ich erzählte – vielleicht beruhigte das seine Nerven –, und ich versuchte, mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass der Freund meiner Mutter Ella Littlejohns Onkel war. Ich hätte sie zu gern gefragt, ob sie ihn ebenso wenig mochte wie ich, aber Ella war fort, und mir war vor Angst so übel, als hätte ich drei Teller von der abscheulichen Pilzsuppe gegessen, die sie uns mittwochs in der Schule auftischten.
Wo hatte Stourton sie hingebracht?
War sie noch am Leben oder hatte er aus ihr schon einen Geist gemacht?
Konnte er das?
Zelda kam mit dem Kaffee zurück, als ich gerade erzählte, wie Longspee Stourton das Schwert durch die Brust gestoßen hatte. Ich gebe zu, der Vollbart hatte bis dahin nicht eine dumme Frage gestellt. Im Gegenteil. Er hatte so ruhig zugehört, als hätte ich ihm erklärt, welcher meiner Zähne wehtat, wenn ich Eiscreme aß, und als ich schließlich erschöpft schwieg, nickte er nur, als erzähltenihm seine Patienten jeden Tag von mordenden Geistern und toten Rittern.
»Das ergibt leider alles Sinn«, sagte er und ließ sich in den zerschlissenen Sessel fallen, in dem sonst nur die Kröten hockten. »Stourton hat sich Ella statt Jon gegriffen, weil sie keine Internatsschülerin ist und es deshalb leichter war, an sie heranzukommen.«
»Aber wie kann er Briefe schreiben und ein Kind entführen? Er ist nichts als ein Schatten!«, rief Zelda und goss sich den Kaffee mit so zitternden Händen in die Tasse, dass der Vollbart ihr die Kanne abnahm.
»Ich habe dir schon immer gesagt, dass du ein sehr positives Bild von Geistern hast«, stellte er fest, während er sich auch eine Tasse eingoss. »Wie konnte er einen Brief schreiben? Erste Möglichkeit: Unser mörderischer Geisterlord hat einen lebenden Mann so in Angst und Schrecken versetzt, dass er Ella in seinem Auftrag aufgelauert und den Brief geschrieben hat. Zweite Möglichkeit …« Er zögerte und warf mir einen schnellen Blick zu.
»Was?«, fragte ich gereizt. »Denkst du, ich bin nicht alt genug für zweitens? Ich wette, du bist noch nie von einem fünfhundert Jahre alten Mörder gejagt worden oder hast dich mit seinen Dämonenhunden rumgeschlagen!«
Das Ganze kam mir so angriffslustig über die Lippen, dass Zelda mir
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