Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
e-Motion

e-Motion

Titel: e-Motion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Orloff
Vom Netzwerk:
mir um, bevor sie ihr Gesicht wieder über die Pfanne beugte und an ihrem Hexenkessel meine Anwesenheit vergaß.
    Von Maria ignoriert und mit jeder Menge Zeit, entschied ich mich, dieses Haus und seinen für jeden Magen unheilverkündenden Geruch zu verlassen und den Strand zu erkunden.
    Als ich über den feinen weißen Sand schritt, entdeckte ich Roland in der Ferne. Er warf seine Angelleine ins Meer und kurbelte sie langsam wieder zu sich heran, warf sie erneut … In eingespieltem Rhythmus wiederholten sich die Bewegungen ein ums andere Mal. Ich wollte ihn nicht stören, also spazierte ich in die andere Richtung.
    Am frühen Abend wehte hier eine leichte Brise. Die Sonne war noch nicht untergegangen, und der Sand war nicht mehr so heiß, sondern angenehm warm unter den Füßen. Wellenförmig zierten Muschelschalen die Küste, die die Strömung dorthin gespült hatte. Ein Fischadler tauchte in die Fluten ab, und überall am Rand wuchs Dünengras in kleinen Büscheln. Ich verfluchte jede Minute dieses Spaziergangs. Die Zeit breitete sich so endlos vor mir aus wie der Strand. Ich konnte mir keine Woche an diesem Ort vorstellen. Geschweige denn einen Monat.
    Als ich im ersten Jahr auf dem College war, teilte ich mein Zimmer mit einer manisch-depressiven Kommilitonin. Cherish, den Namen hatte sie ihren Acid schluckenden Hippie-Eltern zu verdanken, kam tagelang ohne Schlaf aus, wenn sie wieder ihre Partyphase hatte. Sie machte so bescheuerte Sachen wie das Kreditkartenkonto ihres Vaters – zu dem Zeitpunkt hatte er bereits ein Softwareunternehmen gegründet und Millionen gemacht – bis auf den letzten Cent abzuräumen; sie ging auf den kräftigsten Footballspieler auf dem Feld zu und beschimpfte ihn als Neandertaler, nachdem er einen Ball vergeigt hatte, der in dem entscheidendsten Spiel in der Saison der Universitäten von Virginia der Siegestreffer hätte sein sollen; oder sie kletterte mitten in der Nacht auf das Fensterbrett unseres Schlafzimmers, „um sich die Sterne anzusehen“; sie trank zu viel; sie nahm ihr Medikament nicht.
    In ihren depressiven Phasen verweigerte Cherish jede Nahrung. Sie duschte sich nicht, zog sich den ganzen Tag den Schlafanzug nicht aus, lag in embryonaler Grundhaltung im Bett und nuckelte am Daumen. Ihr wunderschönes dunkelbraunes Haar wurde matt. Sie schwänzte den Unterricht.
    Ich habe Cherish akzeptiert, wie sie war. Nach dem Unterricht ging ich zu ihr, strich ihr über den Kopf und versuchte sie davon zu überzeugen, dass sie etwas essen musste. Ich wusste, dass sich das Blatt früher oder später wieder wenden würde. Und das tat es immer.
    Zu der Sache mit dem Medikament habe ich nie etwas gesagt, und obwohl die anderen mich für verrückt erklärten, entschied ich mich im nächsten Herbst dafür, wieder mit ihr zu wohnen. Genau wie im Jahr darauf und auch in den nächsten. Sie wollte ihr Medikament nicht nehmen, weil es ihr auch die Höhenflüge genommen hätte. Und ich wusste besser als jeder andere, wie sich das anfühlte.
    Unter uns nannten wir es unseren süßen Wahnsinn. Sicher, insgesamt lief meine Maschine etwas runder. Ich stürzte nie so tief ab wie sie und kannte ihre Hochs dafür nicht. Ich saß nur in der Killermaschine vom Typ A: Gaspedal durchdrücken, voll auf Schlingerkurs, übermüdet am Steuer immer dem ehrgeizigen Ziel hinterher. Ich schloss als Zweitbeste meiner Klasse ab. Ich studierte parallel zwei Hauptfächer, machte jedes Jahr ein Praktikum mit vierzig Stunden die Woche, arbeitete nachts als Kellnerin in einer Bar. Ich hörte nie auf; ich war glücklich. Meine Tante Charlotte warnte mich, ich würde vor etwas davonlaufen. Ich dachte, ich würde mich auf etwas
zu
bewegen. Auf etwas Großes, Aufregendes.
    Nach dem College habe ich angefangen, für Lou zu arbeiten. Ich kam vor sieben ins Büro und verließ es nach dem Pförtner. Er und Helen haben das bemerkt. So wie alle anderen auch. Schon bald aß ich mit Allen Ginsberg zusammen Mittag und hatte es mit Namen zu tun, von denen ich bis dahin nur träumen konnte. Und obwohl es mir einen echten Kick gab, mit den berühmtesten Schriftstellern in den angesagtesten Restaurants New Yorks zu speisen, war das nichts weiter als der Weg, den ich mir ersehnt hatte. Hätte ich Medizin studiert, wäre ich vermutlich in der Notaufnahme glücklich geworden und hätte mich nie über die endlosen Überstunden beschwert.
    Als mein Vater langsam in die Vergangenheit abdriftete und nicht mehr realisierte, wer ich war,

Weitere Kostenlose Bücher