e-Motion
oder sowas, jedenfalls hab ich ihn nich gefunden. Darum hab ich euch auch angerufen.“
„Wenn Sie Roland Riggs also etwas sagen könnten, was wäre das?“
Die Kamera zoomte an Orville heran, und so, aus der Nähe, sah er wahrlich abstoßend aus.
„Mr. Riggs, es tut mir Leid. Es war ein Unfall. Ich hab nen Hirsch verfolgt, ein Sechsender, und der lief direkt auf Ihren Garten zu, und ich hab Mrs. Riggs da nich stehen seh’n, bis es zu spät war, und da war sie schon … ganz tot.“
Sehr richtig. Im Gegensatz zu
irgendwie
tot.
„Und ich wollte Ihnen sagen, ich mein, ich weiß nich, ob Ihnen das hilft, aber ich hab ein scheiß Leben gehabt und bin nie glücklich geworden in all den Jahren.“
Dann fing Orville auf dem nationalen TV-Kanal an zu weinen. Blende zurück ins Studio. Zwei künstlich wirkende Fernsehtanten lächelten in die Kamera.
„Alle Achtung, Barbara, das nenne ich eine Geschichte. Dass er nach all den Jahren seinen Frieden mit dem berühmten Roland Riggs schließen will. Es gibt wohl kaum einen Menschen in Amerika, der
Simple Simon
nicht in der Schule gelesen hätte.“
„Oh ja, das kann man wohl sagen.“ Jenny lächelte künstlich.
Selbstverständlich. Ich bin mir sicher, dass Jenny ‚Simple Simon‘ gelesen hat.
„Ja, John.“ Jenny lächelte unbeirrbar weiter. „Aber wo ist Roland Riggs? Amerikas berühmtester und medienscheuer Autor hat seit dreißig Jahren kein Interview mehr gegeben. Wird er Orvilles Bitte um Vergebung gehört haben? Wir werden Ihnen von dem weiteren Verlauf der Ereignisse berichten.“
Was bildete die sich denn ein? Was für ein Verlauf der Ereignisse? Orville würde ohne die Freisprechung durch Roland Riggs sterben – so viel stand fest.
Ich ging runter zu Maria, die gerade damit beschäftigt war, Futter für die Katzen in zehn Näpfe zu füllen. Sie verteilte die Schüsselchen jeden Morgen und jeden Abend im Garten. Sie weinte. Der kleine Küchenfernseher war auf den Orville-Sender eingestellt. Orville rauf und runter, überall, da sie auch in den Werbepausen auf die Wiederholung der Sendung um elf Uhr hinwiesen.
„Sie haben es gesehen?“
Sie nickte. „Es tut mir so Leid für Mister Riggs.“
„Mir auch.“
„Er und ich sind uns so ähnlich. Ich habe auch alles verloren. Jetzt haben wir nur noch die Katzen und die Kaninchen.“
„Und die Vögel.“
Wieder nickte sie. „Und Mister Riggs. Jetzt kann ich ihn erst recht nicht mehr verlassen. Jetzt erst recht nicht.“
Sie stellte alle Näpfe auf ein Tablett und ging durch die Terrassentür in den Garten. Riggs hatte Recht, für ein Haus, das so nah am Wasser stand, so belebt von der Seeluft war, lungerte hier der Tod herum wie ein schlecht gedeihender Bonsai.
22. KAPITEL
D as Klischee sagt über Leute, die dem Partner auf der Tanzfläche ständig auf den Zehen rumstehen, sie hätten zwei linke Füße. Roland Riggs jedoch stellte sich so ungeschickt an, dass ich fast behauptet hätte, er habe
gar keine
Füße. Auf dem Parkett kam er mir eher vor wie ein steinaltes Faultier mit zwei Zehen. Gemessen an unserer ersten Tanzstunde vermutete ich, dass ich älter sein würde als er jetzt, bevor ich ihm ein irgendwie redigierbares Manuskript aus dem Ärmel geleiert hätte.
Wir hatten uns für zehn Uhr abends im Wohnzimmer verabredet. Schweiß lief uns die Stirn herunter, während wir Möbel verrückten und die verfluchten Kaninchen oder was auch immer verscheuchten. Jeder Kollege bei West Side, der mich um mein lockeres Kommen und Gehen beneidete und vielleicht dachte, ich hätte das Gehalt nicht verdient, das man mir zahlte, hätte mal sehen sollen, wie ich massige Ledersofas verschob, während Kaninchen an meinen Füßen schnupperten.
„Ich habe mich für ‚Stayin’ Alive‘ entschieden“, sagte Roland, indem er eine CD in die Anlage auf dem Teakholzregal schob und immer wieder auf einen Knopf drückte, bis die ersten Takte des seit
Saturday Night Fever
unsterblichen Liedes erklangen.
„Gibt es dafür irgendeinen bestimmten Grund?“ ich verschnaufte.
„Oh ja. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass Sie aus mir einen John Travolta machen können.“
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich ihn noch nicht tanzen sehen. „Klare Sache, Roland.“
Als ich anfing, mich in den Clubs rumzutreiben, klang das Discozeitalter langsam aus. Privilegierte New Yorker Kids warteten in der Schlange vor dem Studio 54, meine Freunde und ich darunter, aufgestylt bis zum geht nicht mehr, darauf hoffend, dass der
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