Éanna - Ein neuer Anfang
Blechkannen voll lauwarmem Wasser für sie bereitstanden. Genüsslich seiften sie sich gegenseitig ein, schrubbten sich den Rücken ab, ließen sich das Wasser aus den Kannen über den Kopf laufen und sanken dann mit einem wohligen Seufzer in das heiße Wasser.
»Was für ein himmlischer Genuss!«, seufzte Emily. »Dafür hätte ich auch das Doppelte ausgegeben! Endlich an Land und dann auch noch solch ein Bad – was sind wir doch für Glückspilze!«
Éanna stimmte ihr aus vollem Herzen zu. Sie tauchte bis zum Kinn in der Wanne unter, schloss die Augen und fühlte sich so wohl wie schon seit Wochen nicht mehr.
Erst als das Wasser zu kalt wurde, stiegen sie aus den Zubern. Während Éanna sich abtrocknete, fiel ihr auf, wie mager sie in den letzten Wochen geworden war. »Ich sehe schrecklich aus, wie eine spindeldürre Vogelscheuche«, stellte sie fest.
»Red doch nicht so einen Unsinn!«, widersprach Emily ihr sofort. »Du bist nur ein bisschen vom Fleisch gefallen, aber das sind wir doch gerade alle. Das gibt sich schon wieder.«
»Ein bisschen ist gut!«, erwiderte Éanna missmutig und fügte in Gedanken hinzu: Genau wie Caitlin gesagt hat!
»Mein Gott, nun hör schon auf mit dem Gejammer! Ich wünschte, ich hätte dein hübsches Gesicht und deine Figur. Und auch wenn du ganz anders aussehen würdest, Éanna Sullivan, so könnte sich der Mann, der dich einmal zur Frau erhält, noch wirklich glücklich schätzen!«
Éanna lachte, alle trüben Gedanken waren schon wieder verflogen. »Dann muss Brendan sehr glücklich sein.«
»Hör mal«, griff Emily mit ernster Stimme das Gespräch wieder auf, als sich die beiden Mädchen wenige Augenblicke später ankleideten. »Wenn du und Brendan …« Sie stockte kurz, als suche sie nach den richtigen Worten, und fuhr dann fort: »Also wenn ihr beide demnächst eurer eigenen Wege gehen wollt, dann bin ich wirklich die Letzte, die das nicht verstehen würde. Ich stelle auf Dauer für euch doch nur eine Belastung dar …«
Sofort fiel Éanna ihr energisch ins Wort. »Nun redest aber du wirklich Unsinn, Emily! Du bist natürlich keine Belastung für Brendan und mich, sondern meine beste Freundin …«
»Wohl eher die einzige hier in New York!«, warf Emily scherzhaft ein.
». . . und ich denke überhaupt nicht daran, mich von dir zu trennen!«, fuhr Éanna unbeirrt fort. »Wir haben uns nicht gemeinsam in Irland über die Landstraßen geschleppt, jeden Bissen miteinander geteilt, das Clifton House überstanden und die Überfahrt nach Amerika überlebt, um uns dann hier in New York voneinander zu verabschieden! Nein, wir werden so lange zusammenbleiben und alles miteinander teilen, bis wir alle drei sicher auf unseren eigenen Beinen stehen. Und das ist mein letztes Wort dazu. Also fang bloß nicht wieder davon an, wenn du mich nicht ernstlich böse machen willst!«
»Es ist lieb von dir, dass du so denkst.« Emily war sichtlich bewegt. »Aber ich bezweifle, dass Brendan genauso denkt.«
Éanna zuckte die Achseln. »Ach was, er mag dich doch auch. Außerdem wird ihm gar nichts anderes übrig bleiben, weil ich es so und nicht anders will. Und jetzt lass uns nicht weiter davon sprechen!«
Es begann bereits zu dämmern, als Éanna und Emily aus dem Badehaus ins Freie traten, wo Brendan, wie es schien, bereits seit einer ganzen Weile auf sie wartete. Er warf Éanna einen zärtlichen Blick zu, trat auf sie zu und nahm sie in die Arme.
»Mhm, du riechst gut«, sagte er und vergrub sein Gesicht in ihrem noch feuchten Haar. Und dann flüsterte er ihr leise ins Ohr: »Und du siehst zum Anbeißen aus, weißt du das eigentlich?«
Éanna lachte. »Ja, Hunger habe ich allmählich auch. Auf zum Emerald Isle!«
Als sie den Schankraum betraten, saß Tom Mahony bereits an einem der Tische und hatte vor sich einen leeren und einen halb vollen Humpen Porter stehen. Ein Bad im Badehaus kostete ebenso viel wie ein Steinkrug voll starkem Bier – und es war überdeutlich, was er zu bevorzugen schien. Er winkte sie zu sich heran und drängte Brendan sofort, sich zur Feier des Tages auch ein Porter zu genehmigen. Großspurig begann er zu erzählen, was er während ihrer Abwesenheit von anderen Logiergästen über das Leben in New York erfahren hatte.
Nichts davon interessierte Éanna, aber sie machte gute Miene zu seinen Anekdoten, um ihnen nicht den ersten Abend in der neuen Stadt zu verderben. Und sie gönnte Brendan das erste Bier seit Langem, wusste sie doch, dass er – im Gegensatz
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