Éanna - Ein neuer Anfang
anderen arbeiten. Also beweg dich! Und das ist meine letzte Warnung …!«
Patrick erschrak. »Ich soll da hinauf? Das kann ich nicht!« Entsetzt wich er zurück. »Bitte! Ich stelle Euch und Eurem Captain einen Wechsel aus! Ich habe genug Geld!«
Doch nun war es mit der Geduld des Bootsmanns zu Ende. »Himmel, Arsch und Zwirn! Da haben wir uns ja mal wieder einen ganz schön störrischen Burschen an Bord geholt! Aber das treiben wir dir hier ganz schnell aus. Warte nur, du wirst es so schnell nicht noch einmal wagen, meine Befehle zu verweigern!«, stieß er grimmig hervor. »Packt ihn und bindet ihn auf die Gräting! Und du da, hol mir die neunschwänzige Katze, mit der wollen wir den Neuen ein wenig streicheln, damit er Vernunft annimmt! Ich denke, ein gutes Dutzend wird ihn kurieren!«
Patrick versuchte, sich zu wehren, aber es war sinnlos. Im Handumdrehen hatten sie ihn auf der Gräting festgebunden und ihm das Hemd hochgerissen. Und dann tanzten auch schon die Lederschnüre der Peitsche auf seinem nackten Rücken, bis er erneut in eine tiefe und diesmal erlösende Ohnmacht versank.
Einunddreißigstes Kapitel
Unablässig suchte Éanna mit ihren Blicken die Kaianlage am Hudson River ab, wo der Fährdampfer nach Albany seinen angestammten Liegeplatz hatte. Sie war sich so sicher gewesen, dass Patrick kommen würde, um sich von ihr zu verabschieden! Doch sosehr sie sich auch bemühte, seine Gestalt inmitten der vielen voneinander Abschied nehmenden Menschen im Hafen auszumachen – Patrick blieb verschwunden.
»Wir sollten allmählich an Bord gehen. Er kommt wohl nicht mehr, Éanna. Außerdem wird es nun wirklich Zeit: Die Jamison steht schon voll unter Dampf und die Mannschaft beginnt bereits, die ersten Ankertrossen einzuziehen«, sagte Brendan mit nachsichtiger Stimme. Seit Samstagmorgen kam er ihr irgendwie verändert vor, er war seltsam ruhig, in sich gekehrt und wortkarg. Selbst ihren Wunsch, sich von Patrick O’Brien zu verabschieden, hatte er heute ohne Murren akzeptiert.
Und geduldig stand er nun mit ihr am Fuß der Gangway, während Emily und Liam sich schon an Bord der Fähre befanden, um ihnen allen einen guten Platz für die Nachtfahrt flussaufwärts zu sichern. Ob sein eigenartiges Verhalten etwas mit ihrer Standpauke zu tun hatte, die er sich am Samstag als Reaktion auf seinen plötzlichen Anfall von Spielleidenschaft hatte anhören müssen? Denn auch wenn sie im Nachhinein zugeben musste, dass sie sich über die fast neunzig Dollar natürlich freute und sie nun getrost nach Independence aufbrechen konnten, war sie doch im ersten Moment sehr erschrocken über seine Leichtsinnigkeit gewesen, fünf kostbare Dollar aus ihrer Reisekasse zu nehmen, nur um sein Glück im Pokerspiel zu versuchen.
Als nun ein Besatzungsmitglied auf der Jamison einen Sprechtrichter an den Mund setzte und die letzten Passagieremit blecherner Stimme dazu aufforderte, an Bord zu kommen, zerstob Éannas Hoffnung, Patrick ein letztes Mal in New York zu sehen, endgültig. Brendan berührte sie sanft am Arm. »Gehen wir, Éanna. Wir können wirklich nicht mehr länger warten, sonst fährt das Schiff ohne uns ab.«
Sie nickte. »Er hätte einen letzten Dank so sehr verdient«, murmelte sie enttäuscht, dann wandte sie sich um und stieg an Brendans Seite die Gangway empor.
Augenblicke später wurden die letzten Taue eingezogen. Gemächlich legte die Jamison vom Kai ab, steuerte hinaus auf den breiten Strom und wandte ihren Bug flussaufwärts.
Éanna stand an der Reling und konnte ihren Blick nicht von der Landungsbrücke abwenden. Sie erinnerte sich an eine ähnliche Szene, die nur wenige Monate zurücklag. Damals hatte er auf dem Schiff gestanden und ihr zugewunken, jetzt hätte es umgekehrt sein sollen. Doch er war nicht da.
Als der Dampfer Fahrt aufnahm, schrumpften die Kaianlagen und die dort versammelte Menschenmenge immer schneller hinter ihnen zusammen, bis sie schließlich von der nächtlichen Dunkelheit verschluckt wurden.
Éanna blieb noch eine Weile stehen und blickte New York nach, dessen zahllose Lichter allmählich immer schwächer wurden.
Bevor sie der gewaltigen Stadt schließlich den Rücken zukehrte und zu Brendan, Emily und Liam auf das Mitteldeck ging, kam ihr plötzlich der tröstliche Gedanke, dass Patrick vielleicht ganz bewusst nicht erschienen war, um ihnen beiden einen schmerzlichen Abschied zu ersparen.
»Ja, vielleicht ist es wirklich gut, dass du nicht gekommen bist, Patrick«, sagte sie
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