Eanna - Stürmische See - Éanna ; [2]
bekräftigte Emily. »Denn gestern haben sie wieder Geld von ihm erhalten. Diesmal jedoch nicht nur einen Zuschuss für die Pensionskosten, sondern sage und schreibe sechzehn Pfund und zehn Shilling! Also mehr als genug Geld für zwei Passagen nach Amerika und zusätzliche Kleidung und Reiseproviant!«
Éanna gab einen Stoßseufzer von sich. »Ich gönne es ihnen und wünschte, einer von uns hätte auch so einen Bruder. Aber was hat das mit uns zu tun, Emily?«
»Liegt das denn nicht auf der Hand?«, fragte ihre Freundin zurück. »Mein Gott, sie werden morgen schon Tickets kaufen und sich auf dem nächsten Segler einschiffen. Und das heißt, dass sie ihre Arbeit in der Tuchspinnerei von Maynard & Sons aufgeben. Da werden dann auf einen Schlag zwei Stellen frei! Und sie haben mir versprochen, uns morgen früh mit zur Fabrik zu nehmen, damit wir die Ersten sind, die sich um diese beiden Stellen bewerben! Na, ist das nicht eine tolle Nachricht? Mit ein bisschen Glück haben wir schon morgen Arbeit!«
»Ist das wahr?«, stieß Éanna ungläubig hervor.
»Meinst du, mit solchen Sachen mache ich Scherze?«, fragte Emily entrüstet. »Das ist so wahr, wie ich hier sitze und gleich eine Fliege in deinem offenen Mund landet!«
Schnell klappte Éanna ihren Mund zu. Dann fiel sie ihrer Freundin um den Hals. Emily und sie durften hoffen, endlich Arbeit zu finden!
Doch es sollte noch besser kommen. Emily teilte ihr voller Freude mit, dass sie auch eine Bleibe für sie beide gefunden hatte.
»Eine gute Bekannte der Schwestern bewohnt mit ihren beiden halbwüchsigen Töchtern zwei Zimmer«, berichtete sie aufgeregt. »Diese Frau, ihr Name ist Alice Stapleton, arbeitet auch in der Spinnerei und ihre beiden kleinen Töchter verdienen noch ein karges Zubrot in einer Wäscherei. Aber das reicht vorn und hinten nicht und deshalb sucht sie jemanden, mit dem sie die Miete teilen kann. Sie hat zu allem Unglück vor zwei Monaten ein drittes Kind zur Welt gebracht, das nun eines ihrer Mädchen tagsüber hüten muss. Und außerdem hat sie ihr Mann vor ein paar Tagen sitzen lassen. Andere Hausbewohner haben gesehen, wie er an Bord einer Fähre nach Liverpool gegangen ist. Keiner erwartet, dass er sich hier jemals wieder blicken lässt, am allerwenigsten wohl seine Frau.«
»Was für ein Lump, allein auszuwandern und seine Frau mit drei Kindern sich selbst zu überlassen!«, sagte Éanna voller Abscheu.
Emily pflichtete ihr bei. »Von dieser Sorte Ehemänner gibt es leider genug. Aber so zynisch es auch klingen mag, so hat dieser Schweinehund uns doch unfreiwillig zu einer Unterkunft verholfen«, sagte sie nüchtern. »Für das Zimmer, das Alice vermieten will, verlangt sie nur einen Shilling und sechs Pence die Woche. Das können wir uns gerade noch leisten.«
»Wie ist dieses Zimmer?«, wollte Éanna wissen. »Und in welcher Straße wohnt Alice?«
»Das Mietshaus steht in der Ash Street.«
»Also in den Liberties!« Éanna verzog das Gesicht, bis ihr einfiel, dass sie dort Brendan näher sein konnte.
Emily zuckte die Achseln. »Was hast du erwartet? Aber das Zimmer ist ganz in Ordnung. Ich habe es mir heute schon angesehen. Es liegt zwar ganz oben im sechsten Stock und hat leider nur ein winziges Fenster, das auf den Hinterhof hinausgeht. Aber es gibt wenigstens keinen Schimmel an den Wänden und ist auch nicht von Ungeziefer bevölkert. Und mehr können wir ja wohl für einen Shilling und sechs Pence die Woche kaum verlangen, oder?«
»Das ist natürlich wahr«, räumte Éanna ein. »Und wenn du sagst, dass es ganz annehmbar ist, soll es mir mehr als recht sein.«
»Alice wird mit ihren Kindern in der Küche wohnen, wenn wir das kleine Hinterzimmer nehmen. Aber wir können die Küche mitbenutzen und uns mit ihr über ein gemeinsames Essen absprechen«, fügte Emily noch hinzu. »Bezahlen brauchen wir zusätzlich nur unseren Anteil an Kohlen und was sonst noch an Kosten anfällt. Das kommt dann billiger. Denn ob nun fünf Kartoffeln im Topf kochen oder ein paar mehr, macht keinen großen Unterschied.«
Éanna schaute sie bewundernd an. Sie konnte nicht glauben, was ihre Freundin alles bedacht hatte. Plötzlich sah ihre Zukunft in Dublin rosiger aus, als sie es jemals zu hoffen gewagt hatte.
»Gut!«, meinte Emily. »Dann gebe ich Missis Skeffington sofort Bescheid, dass wir wie angekündigt ausziehen werden.«
Die Sachen waren schnell gepackt. Mit einem wehmütigen letzten Blick verabschiedete sich Éanna von der Kammer,
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