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EB1021____Creepers - David Morell

EB1021____Creepers - David Morell

Titel: EB1021____Creepers - David Morell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Morrell
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sie alle erwürgt.« Balenger
    nahm den Rucksack von Vinnie entgegen und holte die Poli‐
    zeiberichte aus dem vorderen Fach. Er griff in seine Tasche
    und holte den Führerschein der Leiche im Erdgeschoss heraus.
    »Feinschmeckermenüs bei Kerzenlicht«, sagte er in das
    Funkgerät. »Entspannende klassische Musik. Literarisehe Le‐
    seabende. Ausländische Filme mit Untertiteln. Alles sehr wohl
    erzogen und förmlich und intellektuell. Wir müssen es intel‐
    lektuell halten. Emotionen dürfen gar nicht erst aufkommen.
    Emotionen machen dich schwach. Bei Emotionen verlierst du
    die Kontrolle.« Er studierte den Namen auf dem Führerschein.
    Iris McKenzie. Als Amanda die Namen von Ronnies »Freun‐
    dinnen« aufgezählt hatte, war ihm irgendetwas daran merk‐
    würdig vorgekommen. Jetzt wusste er, was es gewesen war.
    Iris. Er blätterte die Seiten in der Polizeiakte durch.
    »Hab’s!«, sagte er ins Funkgerät. »Iris McKenzie. Dreiund‐
    dreißig Jahre alt. Wohnhaft in Baltimore, Maryland. Beruf:
    Werbetexterin. Haarfarbe: blond. Klingt das irgendwie ver‐
    traut, du Dreckskerl? Sollte es nämlich. Wenn ich mich nicht
    irre, war sie deine Erste.« Balenger überflog den Bericht, den
    ein alter Mann mit gewissenhafter Sorgfalt geschrieben hatte.
    »Im August 1968 hat Iris einen Zug von Baltimore nach New
    York genommen. Eine Dienstreise. Auf dem Rückweg hat sie
    beschlossen, das Wochenende in Asbury Park in dem berühm‐
    ten Paragon Hotel zu verbringen. Niemand hatte ihr erzählt,
    dass Asbury Park nicht mehr das Juwel war, das es einmal
    gewesen war, oder dass das Paragon ein Alptraum war. Sie ist
    am Freitag eingetroffen. Eine Nacht in diesem unheimlichen
    alten Gemäuer hat ihr gereicht. Sie ist am nächsten Morgen
    abgereist; sie wollte zum Bahnhof. Niemand hat sie je wieder‐
    gesehen. Außer mir. Ich habe sie gesehen, Ronnie. Sie sitzt un‐
    ten im Gang mit ihrer Handtasche im Schoß und wartet immer
    noch auf ihren Zug. Es wird noch eine Weile dauern, bis der
    kommt.« Sein Mund war trocken; seine Brust schmerzte; Ba‐
    lenger musste eine Pause machen. Er hatte das Gefühl, die to‐
    benden Gefühle würden seine Adern zum Platzen bringen.
    Er hob das Funkgerät. »Amanda sagt, du hättest sie mit be‐
    ängstigender Höflichkeit behandelt. Abgesehen davon, dass
    du sie in dem Tresorraum eingeschlossen hast natürlich. Aber,
    zum Teufel, niemand ist vollkommen, stimmt’s? Dann bist du
    mit einem durchsichtigen Nachthemd aufgetaucht, das sie an‐
    ziehen sollte. Was ist da passiert, Ronnie? Hast du beschlos‐
    sen, dass es mit der Höflichkeit jetzt endlich mal ein Ende ha‐
    ben musste? Du hast sie bewirtet. Du hast sie unterhalten. Du
    hast bewiesen, was für ein unglaublicher Typ du bist. Jetzt
    wolltest du etwas für die ganze Mühe haben. Du bist schließ‐
    lich ein Mann von Welt. Du kennst die Spielregeln. Aber dann
    bist du ganz plötzlich wütend geworden. Du hast sie eine Hu‐
    re genannt. Haben deine sexuellen Bedürfnisse dazu geführt,
    dass du dich schwach gefühlt und es übel genommen hast? Ich
    wette, bald danach hättest du sie geschlagen. Dann hättest du
    dich dafür gehasst, dass du dich von deiner Schwäche und
    deinen Bedürfnissen hast überwältigen lassen. Vielleicht hast
    du dich dafür gehasst, dass du sie begehrt hast, und sie dafür,
    dass sie eine Frau war, die du begehrtest. Oder es gibt noch
    die umgekehrte Möglichkeit. Die gefällt mir sogar noch besser.
    Vielleicht hast du dich gehasst, weil du geglaubt hast, du soll‐
    test sie wollen, aber du wolltest sie nicht. Vielleicht hast du
    überhaupt kein sexuelles Interesse verspürt, und das hat dir
    wirklich zu schaffen gemacht. Feinschmeckermenüs kochen,
    Proust lesen, Filme mit Untertiteln ansehen – da hast du dich
    in deinem Element gefühlt. Aber wenn’s an das ganze Mann‐
    Frau‐Zeug ging, warst du tot. ›Was ist eigentlich los mit mir?‹,
    hast du gedacht. Du musstest wohl irgendwas unternehmen.
    Also hast du sie gezwungen, ein Nachthemd anzuziehen. Das
    hätte dir die nötige Ladung verpassen sollen. Hat es aber
    nicht, und dann hast du sie dafür gehasst, dass sie nicht dafür
    gesorgt hat, dass du dich als Mann fühlst. Du hast gewusst,
    worauf das rausläuft. Auf genau das Gleiche wie bei den an‐
    deren. Du hast dich nicht dazu bringen können, sie zu bum‐
    sen, also hast du sie erwürgt, um deine Scham und dein Ver‐
    sagen zu verbergen. Vielleicht würdest du dich ja bei

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