Ebbe und Glut
Frank seinen Spaß haben? Was der kann, kannst du doch schon lange. Ich würde selbst mitkommen, wenn ich auf die Schnelle jemanden auftreiben könnte, der auf Torben aufpasst.«
Mia putzte sich die Nase und ließ sich Annikas Worte durch den Kopf gehen. Gewiss, Frank hatte keine Not, der machte sich einen fröhlichen Tag. Warum also sollte sie es nicht genauso machen? Geheult hatte sie doch nun wahrhaftig genug. So viele Tränen verdiente dieses Arschloch gar nicht.
Also setzte sie sich ihre pinkfarbene Perücke und die riesige Brille in Herzchenform auf und stürzte sich ins Getümmel. Hunderttausende waren unterwegs, um die Schlagerparade zu sehen, die quer durch die Hamburger Innenstadt zog. Anfangs gehörte Mia zu einer Gruppe, die den ganzen Nachmittag ausgelassen hinter den bunt geschmückten Wagen herzog, aus deren Lautsprechern die alten Schlager der sechziger und siebziger Jahre dröhnten, während bunt kostümierte Leute ausgelassen tanzten und sangen. Später fiel die Gruppe auseinander, einige wollten gleich nach Hause, die anderen zogen Richtung Reeperbahn und feierten in diversen Bars weiter.
Es wurde immer später, Mia fühlte sich nach einem langen, anstrengenden Tag leer und erschöpft. Erst ihre vielen Tränen, dann das ausgelassene Feiern mit viel zu viel Alkohol. Müde sackte sie auf ihrem Barhocker zusammen. Stefan stieß sie aufmuntern an. »Nicht einschlafen, Herzchen.«
»Ich bin total hinüber«, seufzte Mia. Sie fühlte sich trotz ihrer Erschöpfung seltsam träge und entspannt.
Stefan legte einen Arm um sie. Mia spürte seine Wärme und seinen hochgewachsenen Körper, der sich überraschend vertraut anfühlte. Einen Moment lehnte sie sich gegen ihn und schloss die Augen.
»Mir scheint, die Party ist vorbei«, stellte Stefan fest. »Ich gehe mal zur Toilette, anschließend hole ich uns einen Absacker, und dann ab nach Hause.« Er stand auf.
»Aufs Klo muss ich auch mal«, murmelte Mia und erhob sich schwerfällig von ihrem Hocker. Sie musste sich an Sonja festhalten, die neben ihr stand.
»Hoppla«, sagte Sonja, als sie schwankend zusammenstießen. Sie wirkte noch betrunkener als Mia.
Mia ging auf unsicheren Beinen zu den Toiletten, die hinter einem Vorhang in einem schmalen Gang lagen. Als sie wieder in den Gang hinaus trat, prallte sie mit Stefan zusammen, der gerade aus der Herrentoilette kam.
»Hoppla«, sagte auch er und hielt sie fest.
Sie sah zu ihm auf, und auf einmal war da eine Spannung zwischen ihnen, die sie atemlos machte. Aus einer freundschaftlichen Berührung wurde eine leidenschaftliche. Stefan zog sie an sich, seine Hände wanderten ihren Rücken entlang, schoben sich unter ihre Bluse, sie hob ihm ihren Mund entgegen, und gleich der erste Kuss war so gierig, so wild, dass ihr schwindelig wurde. Sie fühlte Stefans Hände, die tiefer glitten, ihre Pobacken umfassten, sich in ihren Slip schoben. Mia schloss die Augen. Alles war auf einmal egal, Frank, Rocco, der Schlagermove, und auch, dass sie sich in einer Bar befanden und jede Sekunde jemand vorbei kommen konnte. Sie wollte, dass Stefan sie weiter berührte, mit ihr all das machte, wonach ihr Körper mit einer Gier verlangte, die Mia um ihren Verstand brachte. Stefans Hand fuhr in ihren Ausschnitt und streichelte eine ihrer Brüste. Mia stöhnte auf, ihre Hände erspürten die harte Wölbung unter seiner Jeans. Als sie seinen Gürtel lösen wollte, sagte Stefan: »Nicht hier, lass uns woanders hingehen.«
Sie wusste später nicht mehr, wie sie aus der Bar hinaus und in Stefans Wohnung gekommen waren. Jedenfalls fand es keiner der Kollegen seltsam, dass sie gemeinsam gingen, also hatten sie es offenbar fertig gebracht, auf dem Weg nach draußen die Finger voneinander zu lassen.
Nur vage erinnerte Mia sich daran, dass sie bereits im Flur von Stefans Wohnung erneut wie Verhungernde übereinander hergefallen waren. Sie war überrascht von Stefans Leidenschaft, und auch davon, wie gut er sich anfühlte, wie schön es war, ihn zu spüren, sich gegen seinen langen, hageren Körper zu pressen. Es war ein wundervoller, atemberaubender Rausch, wild und außergewöhnlich. Lange, dachte sie hinterher, war sie nicht mehr so leidenschaftlich geliebt worden.
Die Ernüchterung setzte erst ein, als sie nach Hause fuhr. Stefan wollte, dass sie bei ihm blieb, aber mitten in der Nacht stand sie auf und ging. Während das Taxi durch die nächtliche Stadt fuhr, entschied Mia, dass sie in ihre eigene Wohnung und nicht zu Annika
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