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Ebbe und Glut

Ebbe und Glut

Titel: Ebbe und Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Burkhardt
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unvermittelt.
    »Welchen Exkollegen?« Mia schmiegte sich träge an ihn.
    »Diesen Stefan.«
    »Oh nein. Hast du ihn leben lassen?« Mia spannte sich innerlich an. Hörte das denn nie auf?
    »Natürlich. Wir haben uns ganz zivilisiert unterhalten. Er hat nach dir gefragt.« Frank drückte ihr einen leichten Kuss aufs Haar. »Du solltest ihn mal anrufen. Ist ein netter Kerl.«
    Mia richtete sich überrascht auf. »Das meinst du doch nicht im Ernst, oder? Dieser nette Kerl hat unsere Ehe ruiniert.«
    »Blödsinn. Das waren wir selbst. Er war nur zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort.«
    Mia tat so, als würde sie aufmerksam verfolgen, was auf dem Bildschirm geschah. Dabei dachte sie an Stefan. Seine konzentrierte Art zu arbeiten. Seine Energie, wenn er brillante Ideen hatte – und die hatte er oft. Die vielen gemeinsamen Stunden, die sie mittags beim Essen oder abends bei einem Feierabendbier verbracht hatten. Sein Lachen, während er von anderen Frauen erzählte und sie von ihrer Ehe. Das warme Leuchten in seinen graugrünen Augen, wenn er Mia ansah. Sie hatte dem nie eine Bedeutung beigemessen, nicht einmal nach jenem verhängnisvollen Abend, als sie sich Stefan sturzbetrunken hingab. Sie ging davon aus, dass er dauernd Frauen auf diese selbstverständliche, kühne Weise abschleppte. Gestern diese, morgen jene, zwischendrin zufällig auch mal Mia.
    Aber, ach, was hatte sie zu verlieren? Sie war jetzt frei, sie konnte sich mit Stefan verabreden, mit ihm ausgehen, und wenn anschließend mehr geschah, musste sie keine Schuldgefühle haben, sondern durfte einfach genießen.
    »Triffst du dich mit ihm?« Rocco warf ihr einen belustigten Blick zu. Es beunruhigte sie, wie leicht er ihre Gedanken erriet.
    »Unsinn!«, wehrte sie ab.
    »Klar trifft sie sich mit ihm«, sagte Frank, als habe er das zu entscheiden. »Wird höchste Zeit, dass sie mal wieder jemand ordentlich fickt.«
    Mia war sprachlos. So hatte sie Frank noch nie reden hören. Er war ihr gegenüber immer geradezu schamhaft prüde gewesen, hatte nie derbe Worte benutzt und sich größte Mühe gegeben, ein sauberer Ehemann zu sein.
    »Ich ficke, mit wem ich will«, entgegnete sie versuchshalber und stellte überrascht fest, dass es ihr gefiel, so zu reden. Es klang wunderbar frech. Und vulgär. Und befreiend.
    Frank lachte schallend, und Mia stimmte ausgelassen in sein Gelächter ein. Mit einundvierzig Jahren lernte sie auf einmal, ein böses Mädchen zu sein.
     
    Sie musste Stefan Büttner gar nicht anrufen. Er meldete sich von selbst.
    »Ich habe gehört, dass du jetzt als Freelancer unterwegs bist – genau wie ich. Wir könnten uns doch zusammentun, was meinst du?« Seine warme, freundliche Stimme machte Mia nervös. In all den Jahren war ihr das nicht passiert. Stefan war doch immer der nette Kollege, der gute Kumpel gewesen. Was war auf einmal anders? Dumme Frage, dachte sie ärgerlich. Alles war anders. Einfach alles.
    »Du bist fürs Design zuständig, und ich für die Texte? Und dann machen wir fifty-fifty?«
    »Genau.«
    »Klingt gut.«
    »Dann sollten wir uns mal treffen. Wird ohnehin höchste Zeit.«
    »Das stimmt.«
    Mias Magen krampfte sich nervös zusammen. Stefan. Du liebe Zeit. Sie war ihm so lange aus dem Weg gegangen, dankbar, dass sie ihn nach ihrem Rauswurf bei Keutner und Lempe nicht mehr sehen musste.
    Sie trafen sich zum Mittagessen in einem neuen, asiatischen Restaurant im Schanzenviertel. Um sie herum wimmelte es von jungen Leuten aus der Kommunikationsbranche. Frauen mit riesigen Sonnenbrillen und ausgefallenen Frisuren, Männer, denen der Hosenschritt in den Kniekehlen hing und die ihre durchtrainierten Körper unter knappen Shirts zur Schau stellten. Sie alle wirkten wichtig, unerschütterlich in ihrem Selbstvertrauen und wahnsinnig erfolgreich. Mia hatte völlig vergessen, dass auch sie einst in diese Kreise gehört und sich darin zuhause gefühlt hatte.
    Auch Stefan erschien immer noch so lässig wie früher.
    »Ich komme mir hier so alt vor«, gestand Mia ihm. »Alt und erfolglos.«
    »Ach was.« Er lachte unbekümmert. »Seit wann bist du alt?«
    »Seit ich die vierzig überschritten habe.«
    »Komm schon, das sieht doch kein Mensch. Viel wichtiger ist sowieso, wie alt du in deinem Kopf bist.«
    »Da habe ich bereits die sechzig überschritten.« Kläglich rutschte Mia auf ihrem Sitz zusammen.
    »Unsinn. Du warst immer jung im Kopf, ich glaube kaum, dass sich das geändert hat.« Stefan legte ihr eine große, warme Hand auf

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