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Ebbe und Glut

Ebbe und Glut

Titel: Ebbe und Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Burkhardt
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Müllers nettem, betrübtem Gesicht zu Dagmar Roths meckerndem Ziegenkopf. Diese Frau hielt es nicht mal für nötig, Mias Rauswurf angemessen zu kommentieren. Zwei Tage mehr oder weniger, dachte Mia, darauf kam es nun wirklich nicht mehr an.
    »Wissen Sie was, Frau Roth?« Sie blieb mitten im Flur stehen und sprach so laut, dass es alle mitbekamen. »Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was Sie gegen mich haben. Seit meinem ersten Arbeitstag haben Sie mich wie eine untalentierte, strohdoofe kleine Praktikantin behandelt. Ich bin aber weder strohdoof noch eine Praktikantin und untalentiert gleich gar nicht.«
    Dagmar Roth schnaubte unwillig. »Was reden Sie denn da für einen Unfug? Sind Sie beleidigt, weil wir Sie nicht länger bezahlen können? Das ist Ihr Problem, nicht meins.«
    Mia verdrängte ihre aufsteigende Hysterie und versuchte, ihre Stimme ruhig zu halten. »Ich bin nicht beleidigt. Ich bin total sauer. Und zwar auf Sie. Ausschließlich auf Sie. Ich weiß nicht, was Sie für ein Problem mit mir haben. Aber falls es mit Ihrer Angst zu tun hat, dass ich besser als Sie bin, so kann ich das verstehen.«
    Dagmar Roth erstarrte zu einer hässlichen Skulptur. Sabine Müller formte mit ihrem offenen Mund stumme Laute. Es war so still im ganzen Büro, dass Mia fast glaubte, außer ihr würde niemand mehr atmen. Sogar der Kopierer hörte auf, ratternd Papier auszuspucken. »Mag sein, dass Sie meine Konkurrenz fürchten und meine Berufserfahrung.« Mia erschrak selbst darüber, wie scharf ihre Stimme die Stille durchschnitt. »Mag auch sein, dass Sie fürchten, Ihr Mann könne sich mehr für mich als für Sie interessieren.« Täuschte Sie sich, oder hatte Norbert Roth seine Zimmertür einen Spaltbreit weiter aufgeschoben, um jedes ihrer Worte mitzubekommen? »Ich kann Ihnen dazu nur so viel sagen: Sie haben recht mit Ihren Befürchtungen. Ich bin besser in meinem Job als Sie. Das weiß ich. Ob sich Ihr Mann mehr für mich interessiert als für Sie, weiß ich dagegen nicht. Wir haben nie über solche Dinge gesprochen, und Ihr Mann interessiert mich auch nicht – also, jedenfalls nicht als Mann … Sie wissen schon.« Dagmar Roth sagte kein Wort. »Aber falls er sich für mich mehr als für Sie interessieren würde«, fuhr Mia fort, »dann könnte ich das verstehen. Wer hat schon Lust auf totale Humorlosigkeit? Auf ständiges Gekeife und Gemecker? Auf permanente Kontrolle? Niemand.« Sie holte tief Luft und nickte Dagmar Roth abschließend zu. »Denken Sie mal drüber nach!«
    Dagmar Roth erwachte langsam wieder zu Leben. Ihre Gesichtsfarbe wechselte von Kalkweiß zu Puterrot. Mia war sich nicht sicher, ob sie die drohende Explosion überleben würde. Sie war sich nicht sicher, ob irgendjemand diese Explosion überleben würde.
    Hastig drehte sie sich zu Sabine Müller um, wünschte ihr alles Gute und eilte dann mit zitternden Knien zu ihrem Schreibtisch. Mit fliegenden Fingern und rasendem Herzen packte sie ihre wenigen privaten Dinge zusammen und floh aus dem Büro. Niemand hielt sie auf. Dagmar Roth explodierte nicht. Vielmehr begleitete bestürztes Schweigen Mia hinaus.
    Sie schaffte es mit Mühe bis zur nächsten Straßenecke, dann musste sie sich auf die Bank an einer Bushaltestelle setzen, weil ihre Beine sie nicht mehr trugen.
    Was für ein Abgang!
    Als das Zittern nachließ, begann sie zu lachen. Sie lachte und lachte, bis ihr Tränen über die Wangen liefen. Passanten musterten sie mit merkwürdigen Blicken, aber das war ihr egal. Es fühlte sich einfach unfassbar befriedigend an, dass sie Dagmar Roth den Marsch geblasen hatte.
    UN-FASS-BAR befriedigend.
     
    Zuhause lachte Mia nicht mehr. Sie war darauf angewiesen, dass Norbert Roth ihr eine gute Abfindung zahlte, sonst bekam sie finanzielle Probleme. Sie hatte so kurz bei ihm gearbeitet, dass sie kaum Arbeitslosengeld erhalten würde. Was, wenn er sich jetzt quer stellte und sie ihr Geld vielleicht einklagen musste? Das konnte ewig dauern. Panik erfasste sie. Sie schlief vor lauter Angst nicht mehr und schrieb wie irre eine Bewerbung nach der nächsten. Irgendjemand musste doch an sie glauben. Irgendwer musste sie haben wollen.
    Und so war es auch.
    Allerdings anders, als sie dachte. Bereits in der Woche nach ihrer Kündigung erhielt sie per Mail eine Anfrage von einer Firma, die Biokleidung herstellte – produziert in Deutschland aus heimischen Rohstoffen, unter strengsten ökologischen Auflagen. Die kleine Firma war gerade erst im Aufbau, und sie

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