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Ebbe und Glut

Ebbe und Glut

Titel: Ebbe und Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Burkhardt
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Himmelfahrtsnase erinnerten tatsächlich entfernt an den Jungen von damals aus ihrer Klasse. Doch sie schüttelte den Kopf. »Das könnte Dirk Richter sein. Wenn er zwei Köpfe kleiner wäre. Und dreißig Jahre jünger.«
    Henny kicherte. »Auch ein Dirk Richter wird mal älter.«
    Mia verzog keine Miene. »Glaub ich nicht.«
    Sie stürmte zurück auf die Tanzfläche.
    »Sexy - was hast du bloß aus diesem Mann gemacht?«, grölte sie mit tausend anderen Partygästen. »Sexy - was hat der alte Mann dir denn getan?«
    In einer Spielpause saßen die Bandmitglieder an einem Tisch an der Seite der Tanzfläche. Mia und Henny saßen am Nebentisch.
    »Ich geh da jetzt mal hin und frage den, ob er Dirk Richter ist«, sagte Henny.
    Mia schüttelte den Kopf. Aus der Nähe betrachtet sah sie noch weniger Ähnlichkeiten zwischen dem frechen kleinen Jungen aus der fünften Klasse und dem hageren Gitarristen der Band. Aber Henny stiefelte schon los. Sie musste bereits sehr betrunken sein. Mia ging an die Bar und holte sich eine Caipirinha. Als sie zurückkam, saß Henny wieder an ihrem Tisch.
    »Das ist gar nicht Dirk Richter«, erklärte sie.
    »Ach was.« Mia grinste breit.
    »Aber er ist total nett. Eigentlich viel netter als Dirk Richter«, sagte Henny mit verklärtem Blick.
    »Großartig!«
    Mia kippte ihre Capirinha hinunter und ging wieder tanzen. Henny blieb sitzen und stierte zu den Bandmitgliedern hinüber. Der hagere Gitarrist grinste ihr zu. Sollte Henny sich vergucken, in wen sie wollte. Mia war das egal. Sie tanzte und tanzte, bis die Nacht fast um war.
    Henny sah sie vielsagend an, als sie endlich den Heimweg antraten. »Du glaubst nie, wessen Telefonnummer ich hier habe«, sagte sie.
    »Etwa die von Dirk Richter?« Mia kicherte.
    »Viel besser!«, kreischte Henny, und sie lachten ausgelassen.
    Auf der Straße räumten bereits Müllmänner den Dreck der Nacht zusammen. Es war bitterkalt und schneite. Weil es keine freien Taxis gab, brachte Mia Henny zu Fuß zur S-Bahn und ging dann das letzte Stück allein nach Hause. Auch das war etwas, was sie nach ihrer Scheidung wieder lernen musste: sich als Frau alleine durch die Nacht zu bewegen. In diesen Momenten war sie direkt dankbar, dass sie mittlerweile zur Riege der unsichtbaren Frauen gehörte.
    Dennoch wurde ihr etwas mulmig zumute, als ihr in einer kleinen, einsamen Straße drei Männer entgegen kamen, die grölend durch den Schnee torkelten. Mia wollte ihnen schon ausweichen, als einer von ihnen schrie:
    »Dasissochmiaodanich?«
    Die Männer blieben vor ihr stehen. Einer war groß und schlaksig, einer klein und dicklich, der dritte ein unauffälliger Mitläufer. Rocco, Frank und Schmiddel. Frank löste sich aus der Gruppe. Er war so betrunken, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Trotzdem hatte er Mia in der Dunkelheit sofort erkannt.
    »Mia!« Er fiel ihr förmlich in die Arme. »Meine allerallerallerliebssse Mia.« Er hielt sich an ihr fest wie ein Ertrinkender. »Prosssit Neujahr!«, lallte er.
    Verglichen mit den Männern war Mia geradezu nüchtern. Die betrunkenen Kerle stießen sie noch mehr ab, als sie es in nüchternem Zustand getan hätten. Manche Männer wurden offenbar nie erwachsen.
    »Euch auch ein schönes neues Jahr«, sagte sie frostig und versuchte, Frank von sich fortzustoßen.
    Doch er umklammerte sie wie eine Klette.
    Rocco, der sichtlich genervt von Franks Trunkenheit war, prostete ihr mit einer leeren Weinflasche zu. »Frohes neues Jahr, Mia«, sagte er liebevoll. Er beugte sich vor, um ihr Frank abzunehmen, und dabei drückte er ihr einen warmen Kuss auf die Wange.
    »Es gibt Momente, in denen wünschte ich, er wäre noch dein Mann«, seufzte er. Dann klemmten er und Schmiddel sich Frank in ihre Mitte und schleiften ihn weiter.
    Mia sah ihnen nach. Schneeflocken fielen auf ihr Gesicht.
    Auf einmal war ihr zum Weinen.
     
    In ihrer Wohnung war es eiskalt. Mia kroch mit einer Wärmflasche ins Bett und vergrub sich tief unter ihrer Bettdecke. Früher hatte Frank immer ihre kalten Füße gewärmt. Früher, dachte sie und spürte, wie die Kälte trotz der Wärmflasche durch ihren ganzen Körper zog, war überhaupt alles wärmer gewesen.
    Auf einmal musste sie an Arthur denken. Er gehörte eindeutig zur Kälte. Alles an ihm war kalt. Seine Wohnung. Sein Blick. Seine Gefühle. Nur unter ihren Händen war er nie kalt gewesen, da hatte er geglüht.
    Auf dem Nachttisch summte ihr Handy. Mia angelte schläfrig danach. Sie hatte bereits

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