Ebbe und Glut
Bett lag. Arthur schien ein Nachtmensch zu sein.
»Gut sieht's aus mit dem Nebenjob. Über die Konditionen können wir gerne verhandeln – im Rahmen des Möglichen natürlich.«
Dieser Fuchs! Aber er entwischte ihr nicht. Mia kicherte aufgeregt bei dem Gedanken daran, welche Bedingungen sie sich für ihr nächstes Treffen mit Arthur überlegt hatte. Der würde Augen machen.
Arthur lächelte zur Begrüßung. Das hatte er früher nie getan. Doch dann lief zunächst alles so, wie damals. Nur dass er ihr Kaffee statt Champagner anbot.
Aus alter Gewohnheit trat Mia ans Wohnzimmerfenster und warf einen prüfenden Blick auf den verschneiten Hafen und die Elbe, auf der dicke Eisschollen trieben. Es war fast ein Jahr her, seit sie zum ersten Mal aus diesem Fenster gesehen hatte, unsicher und nervös. Und voller Verachtung für den Mann im Maßanzug mit seinen primitiven Bedürfnissen. Aber obwohl ihre Verachtung nicht geringer geworden war, stand sie nun doch wieder hier, noch dazu mit einem kühnen Vorschlag.
Mia wandte sich Arthur zu. Er sah angeschlagen aus, stellte sie plötzlich fest. Bleich, mit tiefen Schatten unter den Augen.
»Ich habe mir etwas überlegt«, sagte sie, um einen leichten Tonfall bemüht. »Du brauchst offenbar nach wie vor diese etwas eigenwillige Form der Befriedigung. Ich brauche zwar eigentlich auch weiterhin das Geld, aber ich möchte es nicht mehr.«
Arthur lehnte sich lässig gegen den Fensterrahmen und sah sie abwartend an. Immerhin polterte er nicht gleich los, sondern ließ Mia ausreden.
»Ich möchte kein Geld mehr von dir haben, das empfinde ich mittlerweile zu entwürdigend.«
Arthur schwieg weiter.
»Wir sind uns in den letzten Monaten immer wieder zufällig über den Weg gelaufen.« Sie dachte an den Job bei den Ökos. »Na ja, mehr oder weniger zufällig. Und nun stehen wir uns hier wieder gegenüber, obwohl das eigentlich keinen Sinn macht. Da habe ich mir gedacht, vielleicht ist es an der Zeit, dass wir mal mehr als nur drei Sätze miteinander wechseln.«
Arthur lächelte. »Das scheint ein längerer Vortrag zu werden. Vielleicht hätten wir uns setzen sollen.«
»Ich bin auch schon fast fertig«, beeilte Mia sich zu sagen. »Also, mein Vorschlag: Ich komme her, gebe dir, was du willst, und dafür kriege ich, was ich will: eine Geschichte.«
Arthurs Lächeln verschwand. »Eine Geschichte? Was denn für eine Geschichte?«
Seine Verwirrung gefiel Mia. Sonst war sie es immer, die durcheinander kam. Heute war Arthur mal aus dem Tritt geraten. Großartig!
»Irgendeine Geschichte, das ist mir völlig egal. Einzige Bedingung: Du hast sie selbst erlebt.«
Arthur fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Habe ich das richtig verstanden? Statt Sex gegen Geld soll es ab sofort Sex gegen Geschichten geben?«
»Wenn du so willst – ja.«
»Nenn mir einen einzigen Grund, warum ich mich darauf einlassen sollte.«
Mia wusste nicht, was sie geritten hatte, als ihr in tiefster Nacht diese schräge Idee gekommen war. Jetzt, bei Tageslicht betrachtet, machte sie nur noch halb so viel Sinn wie im Dunkeln in der Sicherheit ihres Bettes. Sie war erst ein paar Minuten hier, und bereits jetzt ging ihr dieser Mann mit seiner kühlen Überheblichkeit schon wieder total auf die Nerven. Trotzdem sagte sie genau die beiden Sätze, die sie sich schon vorher als Antwort überlegt hatte:
»Weil ich nicht glaube, dass dir diese ganzen Blow-Job-Nummern wirklich Spaß machen. Und weil ich das Gefühl habe, dass du mehr Interesse an mir hast, als du zugeben willst.«
Beim letzten Satz schlug ihr Herz bis zum Hals. Sie lehnte sich damit sehr weit aus dem Fenster. Aber da war dieses eigenartige Gefühl, die Erinnerung an Arthurs verlangenden Blick in der Umkleidekabine des Alsterhauses, sein Neujahrsgruß, sein Bemühen, ihr Arbeit zu besorgen (auch, wenn er das nicht zugeben mochte). Sie verstand nicht, warum er sie nicht einfach zum Essen oder ins Kino einlud, sondern so ein Theater um alles machen musste und die Sache mit diesem albernen Job wieder einführte. Nicht, dass sie eine Einladung zum Essen tatsächlich angenommen hätte, sie wusste ja mittlerweile, wie so was mit Arthur ablief. Aber bei ihren letzten Begegnungen schimmerte zwischen seinem unverschämten Verhalten auch etwas anderes durch. Das machte Mia neugierig. Die Schriftstellerin in ihr witterte hinter Arthurs glatter Fassade eine Menge interessanter Geschichten. Wäre es nicht spannend, sie ans Tageslicht zu
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