Ebbe und Glut
Arthur sagen und atmete erleichtert auf, dass sich kein weiterer Überraschungsbesuch ankündigte.
Frank sah sich in dem kleinen Wohnzimmer um.
»Schön sieht's bei dir aus«, sagte er und seine Stimme klang sehnsüchtig. »Du hast es schon immer geschafft, dass alles schön aussieht.«
Mia schwieg.
»Tut mir leid«, flüsterte Frank und wirkte auf einmal sehr traurig und verloren.
»Mir auch.« Mia verschloss sich Franks Trauer nicht schnell genug, ein winziges Stückchen davon berührte ihr Herz und brachte es zum Zittern.
Hilflos starrte Frank auf ihren Fuß. »Brauchst du irgendwas?«
»Nein.« Mia hatte sich wieder so weit gefasst, dass ihre Stimme abweisend klang.
Mutlos nickte Frank. »Tut mir leid«, wiederholte er erneut mit hängenden Schultern.
Im Flur verabschiedete Arthur Frau Schmidt.
»Ich bringe die Sachen mal in die Küche«, rief er.
»Nein!«, schrie Mia entsetzt. Nicht auszudenken, wenn Arthur diese dreckige, unaufgeräumte Küche in Augenschein nahm. Aber es war bereits zu spät, sie hörte ihn schon die Tür öffnen und in der Küche rumoren.
»Hört denn hier gar niemand mehr auf mich?«, fragte Mia verzweifelt und zog sich erneut die Wolldecke bis zur Nase.
»Vielleicht ist es ja an der Zeit, dass du zur Abwechslung mal auf andere hörst«, murmelte Frank niedergeschlagen und zog den Kopf schon vorsorglich ein, bevor Mia ihn mit einem giftigen Blick strafte.
Arthur kam zurück, gut gelaunt und entspannt, und offenbar unbeeindruckt von Mias Küchenchaos.
»Hat Frau Schmidt gesagt, wie viel Geld sie kriegt?«, fragte Mia matt.
»Ich habe das schon geregelt«, entgegnete Arthur, aber statt ihm dankbar zu sein und sich über seine Hilfsbereitschaft zu freuen, rührte sich erneut Groll in Mia. Sie fühlte sich überfahren und überfordert.
Schweigend starrte sie die beiden so unterschiedlichen Männer an, die ihr Wohnzimmer besetzten. Stumm schauten sie zurück. Nur der Orientalenpop von nebenan war zu hören.
»Ganz schön laut hier«, stellte Frank fest, bemüht, die Spannung aufzulösen. »Ist das immer so?«
»Nein.« Mia berichtete von der Hochzeit ihrer Nachbarn.
»Sind die direkt da nebenan?«, Arthur wies mit dem Kopf zur Wand, an der die Bücherregale standen.
Mia nickte. Arthur trat etwas näher an die Wand heran, als wolle er dem Lärm nachgehen. Sein Blick blieb an einigen Fotos hängen, die im Regal vor den Büchern standen.
Eingehend betrachtete er ein Bild, das Mia und Henny an einem Strand zeigte. Sie standen inmitten einer Gruppe von Reitern und struppigen Ponys und lachten mit sturmzerzausten Haaren glücklich in die Kamera. Mia erinnerte sich immer wieder voller Sehnsucht an diesen wunderschönen Urlaub mit endlos langen Ritten am Strand und gemütlichen Abenden in kleinen Restaurants.
»Das war in Ostfriesland«, erklärte sie Arthur. »Auf Spiekeroog.«
»Ich weiß, wo das ist.«
Arthur drehte sich langsam um. Eine eigenartige Verwandlung war mit ihm geschehen. Bleich und mit ungläubigem Entsetzen starrte er Mia an.
»Warst du da auch schon mal?«, fragte Mia, verwirrt und erschrocken über Arthurs plötzliche Veränderung.
»Ja.« Arthurs Stimme klang heiser. »Woher hast du dieses Foto?«, fragte er mit einem Blick, der Mia Angst machte.
»Das hat eine der anderen Reiterinnen gemacht.« Mia versuchte sich zu erinnern. Der Urlaub war gut dreieinhalb Jahre her. Das verschwommene Bild einer Frau mit dunkelblonden kurzen Haaren erschien vor ihrem inneren Auge. Temperamentvoll und fröhlich war sie gewesen – und eine ausgesprochen leichtsinnige Reiterin. Sie hatten während der Urlaubswoche viel Zeit miteinander verbracht, danach aber nie wieder etwas voneinander gehört – abgesehen von einem kurzen Mailwechsel, bei dem sie Urlaubsfotos ausgetauscht hatten. Danach war der Kontakt eingeschlafen.
»Ich glaube, sie hieß Carmen«, sagte Mia. »Und sie war Amerikanerin. Warum willst du das wissen?«
Arthur sah so aus, als ob er gleich ohnmächtig werden würde.
»Carol«, sagte er mit einer Stimme, die dünn wie Luft war.
Mia hob überrascht den Kopf. »Carol, ja richtig, so hieß sie!«
Woher wusste Arthur das? Kannte er die Frau? War das möglich? Falls ja, verband er allerdings keine schönen Erinnerungen mit ihr.
» Du warst auch da.« Fassungsloses Erkennen spiegelte sich in Arthurs Gesicht. Er starrte Mia an, als würde er sie in diesem Moment zum ersten Mal richtig sehen.
»Ja, natürlich war ich da. Sonst wäre ich doch nicht auf dem
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