Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
seiner Hosentasche zwanzig Dollar heraus.
»Das kann ich nicht annehmen«, sagte Lucy.
»Du kannst es mir irgendwann zurückgeben.«
Byrne legte beide Hände auf ihre schmalen Schultern. »Hör zu. Du hast heute einen Fehler gemacht. Das ist alles. Es war richtig, dass du mich angerufen hast. Wir kriegen das schon hin. Ich möchte, dass du mich morgen anrufst. Versprichst du mir das?«
Lucy nickte. Byrne sah, dass ihre Augen glitzerten, aber sie begann nicht zu weinen. Tapferes Mädchen. Byrne wusste, dass sie eine Weile ganz auf sich allein gestellt gewesen war, aber heute hatte sie ihre Mutter nicht erwähnt. Byrne fragte auch nicht. Sie würde ihm das erzählen, was sie ihm erzählen wollte. Er war nicht anders.
»Muss ich jetzt ins Gefängnis?«
Byrne lächelte. »Nein, Lucy. Das brauchst du nicht.« Das Taxi wartete schon. »Solange du diesem Mann auf dem Weg nach Hause nicht das Auto klaust, hast du nichts zu befürchten.«
Lucy umarmte ihn und stieg ins Taxi.
Byrne schaute dem Wagen nach. Lucys Gesicht hinter der Heckscheibe war klein und blass und ängstlich. Er konnte sich nicht vorstellen, welche Last sie mit sich herumschleppte, doch er wusste aus eigener Erfahrung, was eine Erinnerungslücke bedeutete. Auch ihm fehlte jede Erinnerung an die kurze Zeit, als er für tot erklärt worden war. Dieses traumatische Erlebnis war ihm jedoch als Erwachsener und nicht wie Lucy als Kind widerfahren.
Lucy Doucette musste von einem Schreckgespenst verfolgt werden. Ein Schreckgespenst, das sie entführt und drei Tage gefangen gehalten hatte. Ein weißer Fleck in ihrem Leben von drei Tagen. Ein Schreckgespenst, das in jedem Schatten lebte und in jeder Ecke wartete.
Als Byrne sie umarmt hatte, kamen die Visionen. Er sah das klare Bild eines Mannes, der …
… sich mit Frauen trifft, die kleine Kinder haben, und später zurückkommt und sich an den Kindern vergreift … etwas über rote Magnetzahlen an einer Kühlschranktür … vier Zahlen …
1 … 2 … 0 … 8.
Byrne nahm sich vor, Lucy am nächsten Tag anzurufen.
42.
Jessica schaute sich im Schlafzimmer um. Wenigstens war keine Lampe zu Bruch gegangen. Dafür hatten sie aber von einem der Nachtschränke alles heruntergeworfen. Jessica hoffte, dass die Hummelfiguren ihrer Mutter noch heil waren.
Sie rollte zur Seite und kroch unter die Bettdecke. Vincent sah aus, als wäre er von einem Wagen angefahren worden.
»Hi, Sailor.«
»Nein«, sagte Vincent. »Nein, nein, nein.«
Jessica strich ihm mit dem Finger über die Lippen. »Was ist?«
»Du bist eine teuflische Verführerin.«
»Ich hab dir ja gesagt, heirate mich besser nicht.« Sie schmiegte sich an ihn. »Was ist? Bist du kaputt?«
Vincent rang nach Luft. Oder versuchte es zumindest. Sein Körper war schweißüberströmt. Er schob die Decke weg und schwieg.
»Mann, ihr machohaften italienischen Cops habt es wirklich drauf«, sagte Jessica. »Lust auf die zweite Runde?«
»Auf gar keinen Fall. Haben wir irgendwo Zigaretten?«
»Du rauchst doch gar nicht.«
»Ich würde jetzt gerne anfangen.«
Jessica lachte. Sie sprang aus dem Bett und stieg die Treppe zur Küche hinunter. Kurz darauf kehrte sie mit zwei Gläsern Wein zurück. Wenn ihr Gefühl sie nicht trog – und das passierte in solchen Situationen eher selten –, war es eine ausgezeichnete Gelegenheit, um das Thema in zehn Minuten anzuschneiden. Immerhin hatte sie es geschafft, sich in den letzten zwei Jahren mit Vincent auf die Anschaffung neuer Küchengeräte zu einigen, indem sie immer einen günstigen Augenblick auswählte.
Aber diesmal ging es nicht um eine neue Waschmaschine oder einen neuen Trockner. Es ging um ein Leben. Ihr Leben. Sophies Leben. Und das Leben eines kleinen Jungen.
Als Jessica wieder ins Bett stieg, überprüfte Vincent seine SMS auf dem Handy. Er legte es weg und nahm sein Glas Wein. Sie stießen an, tranken einen Schluck und küssten sich. Das war der richtige Augenblick.
»Ich möchte etwas mit dir besprechen«, sagte Jessica.
43.
Sein Liebhaber hatte zwanzig Mal auf den Mann eingestochen. Der Mörder, der Antony hieß – ein Name, dem shakespearesche Ironie anhaftete –, schlitzte sich anschließend den Bauch auf und verblutete auf dem Parkplatz, keine zweihundert Meter von der Treppe zum Kunstmuseum entfernt. Die Zeitungen berichteten fast eine Woche lang darüber. Sie konnten diesem furchtbaren Drama nicht widerstehen.
Ich weiß, was wirklich geschah.
Das Mordopfer hatte am Karfreitag im Jahr
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