Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
Hosanna House, die mit Carlos an dem kleinen Tisch gesessen hatte.
Jessica blieb keine andere Wahl. Sie ließ die junge Frau zur Fahndung ausschreiben.
Shepherd drückte nochmals ein paar Tasten und druckte hundert Fotos von Lucinda Doucette aus. »Das muss an alle Streifenwagen in der Gegend verteilt werden.«
Als John Shepherd das Büro mit den Fotos verließ, klingelte Jessicas Handy. Es war Nicci Malone.
»Nicci. Warum meldest du dich nicht über Funk?«
»Ich bin nicht mehr im Hotel.«
»Warum? Wo bist du?«
Nicci erklärte ihr, wo sie sich aufhielt. Sie war nur ein paar Blocks entfernt.
»Was ist los?«, fragte Jessica.
Detective Malone zögerte. »Am besten, du kommst sofort her.«
80.
Wie benommen ging Lucy die Sansom Street hinunter und achtete darauf, sich möglichst im Schatten der Häuser zu halten. Jeder, der ihr entgegenkam, stellte eine potenzielle Gefahr dar. Sie wussten alle, was sie getan hatte. Sie sah es in ihren Augen. Von dem Verkehr, den Gesprächen und dem Straßenlärm ringsum hörte sie nichts. Lucy hörte nur das Rauschen in ihrem Kopf. Es war so laut, dass sie schier verrückt zu werden glaubte.
Was hatte sie getan?
Sie erinnerte sich nur noch an die Glocke. Sie hatte zwei Mal geläutet.
Was hatte das zu bedeuten?
Lucy ging weiter und ließ eine Straße nach der anderen hinter sich. Weitergehen. Stehen bleiben. Rote Ampel. Grün. Ringsum bewegten sich Menschen, aber für Lucy waren sie alle Geister. Die einzige Person, die im Augenblick in ihrem Bewusstsein lebendig war, war ein toter Mann. Ein toter Mann unter einem blutgetränkten Laken.
All das Blut.
In der Zweiundzwanzigsten Straße hatte Lucy das Gefühl, die Beine würden ihr den Dienst versagen, doch sie zwang sich weiterzugehen.
Als sie die Ecke Sansom und Dreiundzwanzigste erreichte, riss etwas sie aus ihren dunklen Träumen. Plötzlich sah sie auf der Straße überall Streifenwagen, deren Blaulichter an den Hausmauern aufblitzten. An den Ecken hatten sich Menschen versammelt, die miteinander sprachen und auf die Kirche zeigten. Lucy war diesen Weg schon oft gegangen und ganz sicher, dass neben der Kirche ein kleiner Friedhof lag. Was war passiert?
Es spielte keine Rolle. Das hatte nichts mit ihr zu tun. Sie wusste, was sie tun und an wen sie sich wenden musste. Sie überquerte die Dreiundzwanzigste Straße. Mitten auf der Straße stand ein Polizist und leitete den Verkehr um. Lucy schlug den Mantelkragen hoch und wandte das Gesicht ab. Als sie an dem Polizisten vorbeiging, riskierte sie einen Blick. Er sah sie an. Lucy lief schnell über die Straße. Als sie einen halben Block weit gegangen war, trat sie in den Schatten der Häuser und warf einen Blick zurück. Der Polizist schaute noch immer in ihre Richtung.
Lucy begann zu rennen und versuchte, sich zu orientieren. Linker Hand war nur ein paar Straßen entfernt der Fluss, und vor ihr lagen Chestnut, Market, Arch und Cherry.
Cherry.
Es gab nur einen Ort, an den sie jetzt gehen konnte.
Lucy war vollkommen außer Atem, als sie vor der Wohnung 106 ankam. Die letzten vierhundert Meter war sie fast nur noch gerannt. Jetzt hatte sie schmerzhaftes Seitenstechen. Sie versuchte, sich zu beruhigen, und atmete tief durch. In einer anderen Wohnung auf der Etage lief der Fernseher. Irgendwo bellte ein Hund. Sie klopfte leise, aber es machte niemand auf. Sie versuchte es noch einmal. Keine Reaktion.
Lucy drehte den Türknauf, öffnete die Tür und betrat Mr. Costas Wohnung.
Sie traute ihren Augen nicht, als sie in die leere Wohnung starrte. Sogar die Kabine des Traumwebers war verschwunden, der Boden war gefegt und von den Wänden war alles genommen worden. Lucy roch die unterschiedlichen Reinigungsmittel – Fensterklar, Bodenblitz, Scheuermilch, Essigreiniger –, die sie alle kannte.
Sie durchquerte langsam das Wohnzimmer und sah sich in der winzigen Küche um. Die alten Küchengeräte standen noch da, aber das war auch alles. Kein Esstisch, keine Stühle, keine Teller in der Spüle, kein Abflusssieb. Sie kehrte ins Wohnzimmer zurück. Rechter Hand befand sich eine Tür. Lucy nahm an, dass sie ins Schlafzimmer führte. Vorsichtig ging sie weiter, doch die alten Holzdielen knarrten dennoch unter ihrem Gewicht. Sie blieb stehen und wartete darauf, dass das Licht anging und Mr. Costa plötzlich auftauchte, wie er es immer tat. Doch das geschah nicht. Langsam öffnete Lucy die Schlafzimmertür. Der Raum war leer. Keine Möbel, keine Kleidung, keine persönlichen
Weitere Kostenlose Bücher