Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
sah beinahe aus wie die Zahl Acht.
Noch schlimmer fand sie, dass das Opfer vollkommen nackt und von Kopf bis Fuß sauber rasiert war. Die Scham-und Brusthaare waren ebenso entfernt worden wie die gesamte Körperbehaarung an Armen und Beinen. Die aufgescheuerte und zum Teil abgeschürfte Haut des Opfers wies darauf hin, dass die Rasur ziemlich brutal durchgeführt worden sein musste, vielleicht am Vortag. Es schien nichts nachgewachsen zu sein.
Jessica brauchte einen Augenblick, um den grotesken Anblick zu verdauen. Sie hatte schon einiges gesehen, aber so etwas noch nie. Mit einem Mord waren zahlreiche Demütigungen verbunden. Doch die letzte Entwürdigung, irgendwo nackt abgelegt zu werden, machte es noch schlimmer. Es war eine Botschaft des Mörders an den Rest der Welt, dass die Demütigung eines gewaltsamen Todes nicht das letzte Wort war. Meistens starb man in diesem Leben nicht einfach, sondern man wurde tot aufgefunden .
Instinktiv übernahm Jessica die Führung, und das hatte nichts mit Pflichtgefühl zu tun. In diesem Job bewegte sie sich in einer Männerwelt, und je eher man in die Ecke pinkelte, desto besser. Sie hatte das Image einer blöden Tusse längst abgelegt und den Jungs gezeigt, was sie draufhatte.
Stansfield räusperte sich. »Äh, ich befrage die Anwohner«, sagte er und haute schnell ab.
Es gab Detectives, denen der Gedanke , in Mordfällen zu ermitteln, ausgezeichnet gefiel – Ansehen, gute Bezahlung, das Prestige, zu einer Gruppe Auserwählter zu gehören. Sich an einem Tatort aufzuhalten, das war für sie hingegen unerträglich. Anscheinend gehörte Stansfield ebenfalls zu dieser Gruppe. Auch gut, dachte Jessica.
Sie kniete sich neben das Opfer, legte zwei Finger auf dessen Hals und überprüfte den Puls. Der Mann war definitiv tot. Sie untersuchte die Vorderseite des Opfers auf Eintritts-oder Austrittswunden. Keine Löcher, kein Blut.
Sie hörte draußen Stimmen. Als sie den Blick hob, stieg Tom Weyrich gerade mit der Tasche in der Hand die Treppe herunter. Sein Fotograf folgte ihm. Weyrich blickte auf fast zwanzig Jahre Erfahrung als Rechtsmediziner zurück.
»Schönen guten Morgen, Tom.«
Weyrich war Anfang fünfzig. Der Rechtsmediziner verfügte über einen trockenen Humor und stand im Ruf, gründlich und sorgfältig zu arbeiten. Jessica hatte ihn vor fünf Jahren als sehr gepflegten, klassisch gekleideten Mann kennengelernt. Jetzt war sein Schnurrbart schief geschnitten, und er hatte rote, müde Augen. Weyrichs Frau war nach langem Kampf gegen den Krebs vor kurzem gestorben. Der Tod seiner Frau setzte Tom Weyrich arg zu, und sein Leben geriet vollkommen aus der Spur. Weyrich trug zwar eine gebügelte Hose, aber das Hemd sah aus, als hätte er darin geschlafen.
»Ich hatte diesen Doppelmord oben in Torresdale«, sagte Weyrich und fuhr sich übers Gesicht, um die Erschöpfung zu vertreiben. »Ich bin erst vor zwei Stunden da rausgekommen.«
»Keine Ruhe für die Rechtschaffenen.«
»Ja, immer dasselbe.«
Als Weyrich in den Kellerraum trat, sah er die Leiche. »Ach du liebe Güte!« Ein Tier huschte unter dem Müll und den zerrissenen Pappkartons hindurch. »Ich wünsche mir die guten, alten Hinrichtungsmethoden zurück. Zwei Schüsse in den Hinterkopf. Ich hätte nie gedacht, dass ich die Drogenkriege einmal vermissen würde.«
»Ja«, sagte Jessica. »Die guten, alten Zeiten.«
Weyrich stopfte die Krawatte unters Hemd und knöpfte sein Jackett zu. Dann streifte er Latexhandschuhe über und begann mit der Arbeit. Jessica beobachtete ihn und fragte sich, wie oft er wohl schon seine Hände auf das kalte Fleisch eines Toten gelegt hatte. Sie fragte sich auch, was es wohl für einen Mann, der sich noch stärker als andere danach sehnte, die warme Haut eines Lebenden zu spüren, für ein Gefühl war, jetzt alleine schlafen zu müssen. Als Jessica und Vincent vor ein paar Jahren eine Weile getrennt waren, hatte sie am stärksten den Hautkontakt zu ihrem Mann vermisst, die täglichen Berührungen und Umarmungen.
Jessica ging hinaus und wartete. Auf der anderen Straßenseite stand David Albrecht und filmte das Gebäude. Hinter ihm sah sie seinen glänzenden neuen Transporter, auf dessen Seite eine Web-Adresse aufgemalt war und offenbar auch der Titel seines Films.
In Kürze: AREA 5292
Clever. Es schien sich um eine Anspielung auf Area 51 zu handeln, ein militärisches Sperrgebiet im Süden von Nevada, das Gegenstand vieler UFO-Verschwörungstheorien war. 5292 lautete der
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