Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
Schlagzeilen sorgen. TV-Sender und Printmedien würden in großer Aufmachung darüber berichten, und vielleicht fand diese Mordserie sogar landesweit Beachtung. Ein Ungeheuer lief durch die Straßen Philadelphias, es erwürgte Menschen, rasierte ihre Leichen und markierte sie. Nach dem Fund von Kenneth Beckmans Leiche hatten sie alle gehofft, dass es sich um eine Einzeltat und um eine Art persönliche Rache handelte. Das konnten sie jetzt vergessen. Dahinter steckte viel mehr. Nun hatten sie drei Leichen, und sie alle ahnten, dass noch weitere folgen würden.
Byrne ging auf Jessica zu. »Ich hab heute den Termin für das MRT. Ich muss los.«
»Wir haben so weit alles«, sagte Jessica. »Mach dir keine Gedanken.«
Byrne wollte nicht gehen. Weder er noch Jessica waren zwar die leitenden Ermittler in diesem Fall, aber die ersten beiden Stunden galten bei einem Mord als die entscheidenden. Danach verblassten die Erinnerungen; die Menschen hielten es für besser, sich nicht in die Sache hineinziehen zu lassen; die Spuren verflüchtigten sich in kürzester Zeit.
»Kevin«, sagte Jessica. »Geh ruhig zu deinem Termin.«
»Ich möchte noch kurz an dem anderen Fundort vorbeifahren. Die Sache gerät außer Kontrolle.«
»Ich mach das schon«, sagte Jessica. »Du brauchst nicht …«
Doch Byrne war schon auf dem Weg. Er hielt sein Handy hoch, als er auf seinen Wagen zuging. »Ruf mich an«, rief er.
Als Byrne den Friedhof verließ, sah er die Namen der Toten, die in die verwitterten Steine gemeißelt worden waren, die Daten, die die kurzen Leben markierten, die Spanne zwischen Geburt und Tod. Aus Respekt und in der beunruhigenden Gewissheit, dass eines Tages jemand über seine letzte Ruhestätte laufen würde, bemühte er sich, den Grabstellen auszuweichen.
21.
Zuerst ist es ein gedämpfter Laut wie der eines verwundeten Tieres. Ich höre ihn sofort, als ich den Raum betrete. Bald darauf ist er kristallklar.
Lange will ich mich hier nicht aufhalten, denn ich habe viel zu tun. Ich bin nur ein armer Wagenbauer, aber meine Markgräfin erwartet mich.
Ich bin nicht allein in diesem Raum. Es sind noch andere da. Wir sind alle ein Teil von etwas, ein Fragment eines Ganzen. Sie reden mit mir und miteinander, doch ich höre sie nicht. Ich höre, was hier vor Jahren geschah.
Ich stehe in der Ecke und schließe die Augen. Die Szene spielt sich ab wie ein Bühnenstück hinter einer Mattglasscheibe. Zwei Gestalten, für immer verloren in einer dunklen und schrecklichen Vignette der Geschichte.
Es ist ein schüchternes Mädchen, nicht älter als elf Jahre. Es hat langes blondes Haar, das zu einem Zopf geflochten ist.
»Wer bist du? Bist du ein Freund von meiner Mama?«
»Ja, wir sind alte Freunde.«
»Du solltest nicht hier sein.«
»Es ist okay. Mir gefällt dein Kleid. Es ist sehr hübsch.«
»Danke.«
»Ich habe noch ein schöneres Kleid, das eigens für dich genäht wurde.«
»Für mich?«
»Ja. Es hat deine Lieblingsfarbe.«
»Blau?«
»Ein sehr schönes Blau.«
»Darf ich es sehen?«
»Alles zu seiner Zeit.«
»Woher kennen Sie meine Mutter?«
»Wir arbeiten zusammen.«
»Meine Mutter arbeitet nicht mehr.«
»Wir kennen uns von früher. Schon sehr lange.«
»Okay.«
»Kennst du die Geschichte von Eva?«
»Eva?«
»Ja. Eva im Paradies. Eva, die durch einen Apfel in Versuchung geführt wurde.«
Die Klinge, die aus der Scheide gezogen wird, das Knistern des alten Leders, das Pochen eines kleinen Herzens, das vor Angst laut schlägt …
»Ich möchte nicht, dass Sie hier sind.«
»Ich tue dir nichts.«
»Ich möchte, dass Sie gehen, Mister.«
»Möchtest du dein hübsches, neues Kleid nicht haben?«
»Nein.«
Die Klinge glitzert in der hellen Nachmittagssonne …
»Ich hole meine Schwester. Ich will, dass Sie jetzt gehen.«
Die Klinge bebt und saust durch die Luft …
»Eva.«
Die Nachbarn sagen, sie hätten an jenem Tag einen Schrei gehört, ein unheimliches Jammern, das ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Ich höre es auch.
Es ist ein Ton, der vor Abertausenden von Jahren einsetzte, ein roter Wind, der durch die Zeit wehte und Risse in der Welt fand, eine Brise, die hier in der Seele eines Killers, in dem eiternden Herzen von Zimmer 1208 zu einem heulenden Schirokko anschwoll.
22.
In einem Zustand, der – wie ihr einmal irgendein Therapeut erklärt hatte – Dissoziative Fugue genannt wurde, ging Lucy die Achtzehnte Straße hinunter.
Sie musste unablässig an das Foto
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