Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
still sitzen. Dann muss ich hinausgehen und die Jagd von Neuem beginnen.
Einstweilen bleibe ich untätig. Ich beobachte alles und warte. Meine Mordinstrumente liegen bereit.
Mein Blick gleitet über den Boden. Der Friedhof sieht am Tag ganz anders aus. Keine finster blickenden Grabschänder, keine schwebenden Gespenster. Nur die Toten. Nur ein Chor klagender Stimmen, die nach Gerechtigkeit, Antworten und Wahrheit verlangen.
Ich beobachte die herzlosen Menschen, die hier herumlaufen, die verwesenden Toten unter den Füßen, unter dem Gewicht der Pflicht zertrampelte Seelen. Wir wissen alle, warum wir hier sind.
Da. Von der anderen Seite.
Können Sie es hören?
Es ist der Hahn, eine neue Stimme im Chor.
In der Stadt ist Karneval .
19.
Der Mount Olive war ein alter Friedhof im Westen der Stadt, auf dem Hunderte von Toten des Amerikanischen Bürgerkrieges sowie einige der namhaftesten und schändlichsten Bürger Philadelphias ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten.
Wie auch andere Bereiche der Stadt der Brüderlichen Liebe, etwa der Benjamin Franklin Parkway, der den Champs-Élysées ähnelte, war der idyllische Friedhof einem Pariser Vorbild nachempfunden.
An drei Seiten grenzte der Mount Olive an Wohngebiete und im Nordwesten an den Fairmount Park. Er wurde Mitte des achtzehnten Jahrhunderts angelegt, war kein konfessioneller Friedhof und hatte einst eine Größe von über hundertfünfzig Hektar. Er war entstanden, als ältere, kleinere, innerstädtische Friedhöfe, die mitten in Wohnvierteln und neben Kirchen lagen, der Entwicklung Philadelphias weichen mussten. Im Laufe vieler Jahre hatte man zahlreiche Gräber zum Mount Olive verlegt. Der Friedhof stand auf den Listen der historischen Stätten des Landes wie Philadelphias. Dennoch blieb er nicht von Vandalismus und Diebstahl verschont. Es kam sogar vor, dass die Leute hier ihren Müll abluden. Da viele Familien der Verstorbenen inzwischen in anderen Städten wohnten, waren einige Ecken des Friedhofs vom Verfall bedroht.
Jessica und Byrne standen auf der Kingsessing Avenue. Zwei Streifenwagen, ein Sedan der Mordkommission sowie ein Van der Spurensicherung waren bereits vor Ort.
Ein zweites Team fuhr in diesem Augenblick zu dem anderen Tatort. Die zweite Leiche war auf einem Parkplatz in Northern Liberties gefunden worden. Nicci Malone leitete die Ermittlungen in diesem Fall. Dana Westbrook würde Jessica und Byrne telefonisch auf dem Laufenden halten.
David Albrecht tauchte hinter einer Baumgruppe am nördlichen Ende des Friedhofs auf. Er hob sich die Kamera auf die Schulter und machte Aufnahmen von dem Friedhof, dem Mausoleum und den Polizisten. Nach ein paar Minuten ging er auf Jessica und Byrne zu.
»Ich hätte Sie vorher fragen müssen«, sagte er. »Ist es okay, wenn ich hier filme?«
»Warum nicht?«, erwiderte Jessica. »Sie müssen sich nur zurückhalten, bis die Kriminaltechniker ihre Arbeit gemacht haben.«
»Ich möchte nicht, dass Sie meinen, ich würde mich den Toten gegenüber respektlos verhalten.«
»Ich glaube, es ist okay.«
Albrechts Blick wanderte über den Friedhof. Er zeigte auf einen kleinen Grabstein aus Georgia-Graugranit. »Das ist das Grab meines Vaters. Ich war schon lange nicht mehr hier«, sagte er und zuckte – vielleicht ein wenig reumütig – mit den Schultern. »Ich sollte das Grab mal wieder besuchen.«
Die drei schwiegen einen kurzen Moment. Schließlich brach Byrne die Stille. »Wir werden noch eine ganze Weile hier sein, David. Lassen Sie sich ruhig Zeit.«
»Okay. Danke.«
Albrecht hängte sich die Kamera über die Schulter und ging zu dem Grab hinüber. Er bekreuzigte sich und senkte den Kopf.
Jessica sah sich um. Ein Stück entfernt stand Josh Bontrager und sprach mit einem Mann. Jessica nahm an, dass es ein Friedhofsangestellter war. Nach dem Gespräch winkte Bontrager Jessica und Byrne zu sich.
»Was haben wir?«, fragte Byrne.
»Das Opfer ist eine Frau«, sagte Bontrager und deutete über die Schulter nach hinten. Jessica sah in etwa zwanzig Metern Entfernung das weiße Tuch, das die Leiche bedeckte. Daneben stand ein Kollege von der Spurensicherung. Weil es sich bei dem möglichen Tatort um ein riesiges Gebiet handelte, hatten sie rings um die Leiche einen großen Bereich mit Flatterband abgesperrt. Das Tuch auf der Leiche war mit Heringen im Boden befestigt.
»Wissen wir, wie lange die Leiche schon da liegt?«, fragte Byrne.
»Noch nicht allzu lange.« Bontrager zog sein Notizbuch aus der
Weitere Kostenlose Bücher