Echo Einer Winternacht
warf einen Blick auf sein schütteres Haar. Erst fünfundzwanzig und schon eine Halbglatze, dachte sie spöttisch. Und dabei hielt er sich für einen so guten Fang.
Als ahnte er, was in ihren Gedanken vor sich ging, drehte sich Shaw um und sah sie mit finsterem Blick an. »Komm endlich, los. Bringen wir’s hinter uns.«
Während Shaw das Holztor aufstieß und rasch den kurzen Weg entlangging, musterte Janice das kleine Haus. Es war typisch für die Gegend. Ein niedriges Gebäude mit zwei Gauben auf dem Ziegeldach, deren Stufengiebel schneebedeckt waren. Zwischen den Fenstern ragte im Erdgeschoss eine kleine Veranda nach vorn heraus, deren Putz mit einer dunklen, im schwachen Licht der Straßenlaternen undefinierbaren Farbe gestrichen war. Es schien in ganz gutem Zustand zu sein, fand sie und fragte sich, welches Rosies Zimmer gewesen war. Aber sie verdrängte den Gedanken und bereitete sich innerlich auf das bevorstehende ernste Gespräch vor. Öfter als es fair war, beauftragte man sie, solche schlechten Nachrichten zu überbringen. Das kam daher, dass sie eine Frau war. Während Shaw mit dem schweren Eisenklopfer an die Tür schlug, machte sie sich also darauf gefasst. Zuerst rührte sich nichts. Dann leuchtete ein matter Schimmer hinter den Gardinen am rechten unteren Fenster auf. Eine Hand zog die Gardine zur Seite, dann erschien ein Gesicht, auf das schräg das Licht fiel. Ein älterer Mann mit grauem, zerzaustem Haar starrte die beiden mit offenem Mund an.
Shaw hob mit einer unmissverständlichen Geste seinen Ausweis hoch. Die Gardine fiel zurück, einen Augenblick später ging die Haustür auf, und der Mann erschien und band die Kordel seines dicken, wollenen Morgenmantels. Die Beine seines Schlafanzugs hingen auf die ausgeblichenen karierten Hausschuhe herunter. »Was ist los?«, fragte er und konnte seine Angst nur teilweise hinter dem streitlustigen Ton verbergen.
»Mr. Duff?«, fragte Shaw.
»Ja, stimmt. Was wollen Sie so früh von mir?«
»Ich bin Detective Constable Shaw, und dies hier ist Constable Hogg. Dürfen wir reinkommen, Mr. Duff? Wir müssen Sie sprechen.«
»Was haben meine Jungs denn angestellt?« Er trat zurück und ließ sie eintreten. Eine dreiteilige Couchgarnitur in braunem Kord belagerte den größten Fernseher, den Janice je gesehen hatte. »Setzen Sie sich«, sagte er.
Als sie auf die Couch zugingen, erschien Eileen Duff an der hinteren Tür des Zimmers. »Was ist denn hier los, Archie?«, fragte sie. Ihr ungeschminktes Gesicht glänzte von der Nachtcreme, und ein beiges Chiffontuch bedeckte ihr Haar zum Schutz der Frisur. Ihr gesteppter Nylonhausmantel war falsch zugeknöpft.
»Die Polizei«, sagte ihr Mann.
Die Frau riss ängstlich die Augen auf. »Was ist passiert?«
»Könnten Sie herkommen und Platz nehmen, Mrs. Duff«, sagte Janice, ging zu der Frau hinüber, führte sie am Ellbogen zur Couch und machte ihrem Mann ein Zeichen, dass er sich zu ihr setzen solle.
»Schlimme Nachrichten, das seh ich schon«, sagte die Frau bekümmert und fasste ihren Mann am Arm. Archie Duff starrte teilnahmslos auf den leeren Bildschirm und presste die Lippen aufeinander.
»Es tut mir sehr leid, Mrs. Duff. Aber ich fürchte, Sie haben recht. Wir haben wirklich sehr schlechte Nachrichten für Sie.«
Shaw stand verlegen da, den Kopf leicht gesenkt, den Blick auf den bunt gemusterten Teppich gerichtet. Mrs. Duff stieß ihren Mann an. »Ich hab dir ja gesagt, du sollst Brian das Motorrad nicht kaufen lassen. Ich hab’s dir gesagt.«
Shaw warf Janice einen mahnenden Blick zu. Sie trat einen Schritt näher an die Duffs heran und sagte sanft: »Es geht nicht um Brian, sondern um Rosie.«
Ein leises Wimmern kam von Mrs. Duff. »Das kann nicht stimmen«, widersprach Mr. Duff.
Janice zwang sich, weiterzusprechen. »Heute Nacht wurde auf dem Hallow Hill die Leiche einer jungen Frau gefunden.«
»Das muss ein Irrtum sein«, sagte Archie Duff störrisch.
»Ich glaube, leider nicht. Einige der Polizisten vor Ort haben Rosie erkannt. Sie kannten sie von der Lammas Bar. Es tut mir sehr leid, Ihnen sagen zu müssen, dass Ihre Tochter tot ist.«
Janice hatte diesen vernichtenden Schlag oft genug geführt, um zu wissen, dass es bei den Menschen zwei verschiedene Reaktionen darauf gab. Entweder sie leugneten es ab wie Archie. Oder der Schmerz brach überwältigend wie eine elementare Naturgewalt über sie herein. Eileen Duff warf den Kopf zurück und schrie ihren Schmerz zur Decke empor, rang und
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