Echo gluecklicher Tage - Roman
Sams Stimme schien durch den gesamten Bahnhof zu hallen.
»Warum schreist du nicht noch ein bisschen lauter?«, gab sie sarkastisch zurück. »Ich bin sicher, die Leute ganz hinten hätten es auch gerne gehört.«
»Tut mir leid«, sagte er verlegen. »Mir war nicht klar, dass ich schreie. Aber es scheint schon Jahre her zu sein, seit ich dich lachen gehört oder aufgeregt über etwas gesehen habe. Wir sind jetzt durch ganz Kanada gereist und haben so viel gesehen; heute Abend kommen wir in Vancouver an, also kannst du nicht ein bisschen fröhlicher sein?«
»Böden zu schrubben, abzuwaschen und zu kellnern waren keine besonders aufregenden Tätigkeiten«, gab sie spitz zurück. »Wenn du mir garantieren kannst, dass es in Vancouver besser wird, dann fange ich vielleicht wieder an zu lachen.«
»Vielleicht bekommst du dort die Chance, wieder Geige zu spielen.«
Beth zwang sich zu lächeln. »Vielleicht, aber entschuldige, wenn ich mich nicht darauf verlasse.«
Die Fehlgeburt lag jetzt vier Monate zurück, und körperlich hatte sie sich innerhalb einer Woche davon erholt. Aber zu hören, dass sie keine Kinder mehr bekommen konnte, war ein schwerer Schlag für sie gewesen. Manchmal blieb sie den ganzen Tag im Bett, es war ihr egal, ob das Zimmer dreckig oder unordentlich war, und wenn sie ausging, dann redete sie mit kaum jemandem.
Theo hätte während der ersten drei oder vier Wochen nicht netter sein können. Er brachte ihr Delikatessen, Stärkungsmittel, frische Früchte und Schokolade mit, er fuhr mit ihr in einem Pferdeschlitten zum Mount Royal hinauf, und er kaufte ihr ein neues Kleid in einem der besten Läden an der Sherbrooke Street. Viele Abende blieb er bei ihr, und nur deshalb verfiel sie nicht in Melancholie.
Sie war froh, als die Männer vorschlugen, weiterzuziehen. Vielleicht würde sie wieder sie selbst sein, wenn sie neue Landschaften sah und neue Leute kennenlernte.
Ende März verließen sie Montreal mit dem Zug, als es noch sehr kalt und der Fluss noch immer zugefroren war, aber der Frühling bereits Einzug hielt. Theos Theorie war, dass die neue Eisenbahnlinie, die durch ganz Kanada bis nach Vancouver führte, einige aufblühende Städte entlang des Weges geschaffen haben musste. Er hatte insofern recht, dass überall, wo der Zug hielt, Kleinstädte entstanden waren, aber dort eröffneten sich ihnen nicht die Möglichkeiten, auf die Theo gehofft hatte.
Ein Saloon, der in der Regel auch ein Hotel war, Lebensmittel-, Bekleidungs- und Werkzeugläden, ein Holzhof, Ställe und eine Schmiede waren so ziemlich alles, was diese Städte zu bieten hatten. Die Einwanderer, die an diesen abgelegenen Orten Farmland gekauft hatten, waren nüchtern, fleißig und bieder, keine Menschen, die ihr hart verdientes Geld verspielten. Beth fand, dass man in diesen Städten nur ein Vermögen machen konnte, wenn man Ballen mit Stoff, Hüte oder andere Luxusgüter herschaffte, denn die meisten Frauen hungerten hier nach irgendetwas Hübschem zum Anziehen.
Doch Montreal zu verlassen, hatte ihr gutgetan. Sie hatte aufgehört, darüber nachzudenken, dass sie niemals ein Kind haben würde, und die Energie aufgebracht, wieder zu arbeiten, wenn die Gelegenheit sich bot. Sie gab sich wieder Mühe mit ihrem Aussehen und übte wieder Geige.
An den meisten Orten, an denen sie länger blieben, gelang es den Männern meist leicht, irgendeinen Job zu finden, auf Farmen, in Holzfällercamps oder in Sägewerken. In einer Stadt hatte Sam einem Schuster ausgeholfen und fast vierzig Dollar verdient. Aber für Beth gab es nur Putzen, Waschen und gelegentliche Farmarbeit wie Säen oder Unkrautjäten. Manchmal musste sie allein in einem gemieteten Zimmer bleiben, während die Männer in den Baracken an ihrem Arbeitsplatz schliefen, deshalb war sie auch einsam.
Sie hatte ein paar Mal in den Saloons Geige gespielt, aber obwohl sie viel Applaus bekam, warf das Publikum als Anerkennung nur wenige Cent in den Hut. Es war schwer, nicht an New York oder Philadelphia zu denken und daran, wie gut es sich angefühlt hatte, von dem leben zu können, was sie am meisten liebte. Sie hatte Angst, dass sie niemals wieder die Chance dazu bekommen würde.
Doch trotz aller Enttäuschungen, Entbehrungen und Sorgen war es, wie Sam gesagt hatte, eine unglaubliche Reise mitten durch dieses riesige Land gewesen, und die atemberaubend schöne Landschaft hatte sie nach jeder Kurve erneut sprachlos gemacht: schneebedeckte Berge, riesige Seen und
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