Echo gluecklicher Tage - Roman
erste Lied, »Abide with Me«, gesungen war und die Gebete begannen, wanderten Beths Gedanken zurück zu Sams Bemerkung am Morgen. Sie nahm an, dass sie tatsächlich zu einer alten Jungfer geworden war. Alles, was sie tat oder woran sie dachte, drehte sich um Molly oder die Langworthys. Sie gab sich keine Mühe mit ihrem Aussehen, ihre Kleider waren aufgetragen, sie ging nie aus und sah sich keine Schaufenster mehr an, aber nur, weil sie nirgendwo hinging, wo sie die Sachen hätte tragen können.
Bevor ihr Vater gestorben war, hatte sie sich oft romantischen Tagträumen hingegeben, aber das tat sie nicht mehr. Es war sinnlos: Sie würde niemals zu einem Ball gehen oder zu Partys oder in einer Kutsche herumfahren und einen Pelzmantel und Diamanten tragen. Selbst die bescheideneren Träume, die Miss Clarkson in ihr geweckt hatte – Lehrerin zu werden oder Krankenschwester oder als Verkäuferin zu arbeiten –, kamen jetzt nicht mehr für sie infrage, weil sie sich um Molly kümmern musste.
In Wahrheit konnte sie sich nur noch in eine Traumwelt fliehen, wenn sie Geige spielte. Allein im Kutschenhaus konnte sie sich vorstellen, sie würde ein wunderschönes, farbiges Seidenkleid und glitzernde Nadeln im Haar und hübsche Schuhe an den Füßen tragen. Für ungefähr eine Stunde ließ die Musik sie schweben, und alle Pflichten fielen von ihr ab.
Als Reverend Bloom über Mr Langworthy zu erzählen begann, schreckte Beth aus ihren Gedanken auf.
»Theodore Arthur Langworthy wurde nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren«, sagte er. »Sein Vater war ein armer Bauer aus Yorkshire, und sein ältester Sohn sollte in seine Fußstapfen treten. Aber der junge Theodore hatte andere Pläne.«
Beth hatte nichts über Mr Langworthys Hintergrund gewusst, nicht einmal, dass sein Name Theodore gewesen war, und es fiel ihr schwer, sich den bettlägerigen alten Mann anders als krank und schwach vorzustellen.
»Maschinen faszinierten ihn früh, und er ging nach Liverpool, wo er eine Lehre zum Maschinisten machte«, fuhr Reverend Bloom fort. »Er war erst zweiundzwanzig, als er in dem Schuppen hinter dem Haus, in dem er wohnte, eine Wasserpumpe baute. Zehn Jahre danach arbeiteten fünfzig Männer für ihn und exportierten die Pumpen in alle Welt. Später erweiterte er sein Geschäft und machte auch Dampfmotoren für Schiffe, und Langworthy Engineering wurde einer von Liverpools größten Arbeitgebern.«
Reverend Blooms Augen richteten sich auf die Gemeinde. »Viele von euch, die ihr heute anwesend seid, verdanken ihren derzeitigen Wohlstand ihm. Er stellte euch als junge Männer ein, zeigte väterliches Interesse an euch und bildete euch gut aus. Andere von euch sind durch Wohltätigkeitsorganisationen mit ihm verbunden und werden ihn als einen Verfechter ihrer Sache in Erinnerung behalten, der großzügig spendete, um sie zu erhalten.«
Vielleicht lag es daran, dass Mr Langworthy seinem Traum gefolgt war, dass Beth erneut an Sam denken musste. Sie hatte gehofft, dass er im Adelphi neue Freunde finden und das Interesse an Amerika verlieren würde. Aber das hatte er nicht. Er studierte Landkarten, las Bücher und Artikel in Zeitschriften und sparte jeden Penny, um auswandern zu können.
Bis jetzt hatte Beth diesen leidenschaftlichen Wunsch von Sam als reine Abenteuerlust abgetan, aber plötzlich wurde ihr klar, dass es im Grunde das Gleiche war wie Mr Langworthys Wunsch, Ingenieur zu werden. Wenn er nicht mutig genug gewesen wäre, sich gegen seinen Vater aufzulehnen und sich das zu holen, was er wirklich wollte, dann hätten viele Leute hier heute keine Arbeit, die Wohltätigkeitsorganisationen wären ärmer, und wer hätte dann diese Wasserpumpen und Dampfmotoren gebaut, die in die ganze Welt verschickt wurden?
Vielleicht würde niemand davon profitieren, dass Sam nach Amerika ging, aber auf der anderen Seite würde er vielleicht verbittert sein und am Ende ihr die Schuld geben, wenn er es nicht tat. Beth hatte Angst davor, mit Molly alleingelassen zu werden, vor allem jetzt, wo ihre Zukunft so unsicher war, aber sie hatte noch mehr Angst davor, die Liebe ihres Bruders zu verlieren, indem sie ihn zurückhielt.
Um fünf Uhr nachmittags wusch Beth in der Küche ab, während die Köchin die Reste in die Vorratskammer räumte, als sie hörte, wie Mrs Langworthy sich an der Haustür von den letzten Gästen verabschiedete. Selbst aus dieser Entfernung konnte sie die Müdigkeit in der Stimme ihrer Herrin hören und die
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