Echo gluecklicher Tage - Roman
verlassen«, drängte der Mann. »Ich will ihn jedes Mal umbringen, wenn er dich betatscht.«
Beth fühlte sich plötzlich sehr unwohl dabei, Zeugin dieses geheimen Stelldicheins zu sein. Sie wollte gehen oder zumindest husten, damit die beiden wussten, dass sie nicht allein waren, aber es war zu spät, denn das Paar stand jetzt nur noch wenige Meter von ihr entfernt auf der anderen Seite der Reling, so nah, dass sie das Parfüm der Frau riechen konnte.
Sie atmeten schwer, ihre Kleidung raschelte, und obwohl Beth sich nicht sicher sein konnte, glaubte sie, dass der Mann die Frau auf unanständige Weise berührte.
»Ich brauche mehr als diese paar Küsse im Dunkeln, Clarissa«, seufzte er. »Ich will dich auf einem Bett lieben, will dich nackt unter mir sehen. Komm heute Nacht in meine Kabine.«
Beths Wangen brannten jetzt vor Verlegenheit, aber wenn sie sich bewegte, dann würden die beiden sie hören, und es würde aussehen, als wenn sie sie absichtlich belauscht hätte.
»Ich versuche es«, erwiderte die Frau. »Ich gebe Aggie ein bisschen von einem meiner Pulver.«
Es gab noch mehr leidenschaftliche Küsse und Gefummel, dann hörte Beth, wie Clarissa sagte, sie müsse jetzt gehen, und Sekunden später hörte sie Absätze über das Deck klappern.
Der Mann blieb, wo er war, und Beth sah, wie er sich eine weitere Zigarette anzündete. Da sie jetzt bis auf die Knochen durchgefroren war, fing sie an, sich langsam auf die Tür zum Niedergang zuzubewegen. Aber in der Dunkelheit sah sie nicht, dass sich vor ihr eine kleine Stufe befand, und sie stolperte und fiel auf das Deck.
»Wer ist da?«, bellte der Mann.
Beth wusste, ohne den Kopf zu wenden, dass er nur vier oder fünf Meter hinter ihr war und dass nur die Absperrung ihn daran hinderte, zu ihr zu kommen.
»Stehen Sie auf, und reden Sie mit mir«, befahl er.
Sie war es so gewohnt zu tun, was man ihr sagte, dass es ihr gar nicht in den Sinn kam wegzulaufen, und so gehorchte sie ihm.
»Wie lange standen Sie schon da?«, fragte er.
»Eine Weile. Ich bin nach oben gekommen, weil unten die Luft so schlecht ist.«
Sie musste ihn anstarren, denn er war unglaublich attraktiv, trug makellose Kleidung und hatte eine kultivierte Stimme. Sie nahm an, dass er ungefähr Mitte zwanzig war.
Bis zu diesem Moment war Sam der Maßstab gewesen, nach dem sie das Aussehen von Männern beurteilte, und sie kannte ein paar, die besser aussahen als ihr Bruder. Aber Sam wirkte fast mädchenhaft im Vergleich zu diesem Mann, dessen Haar pechschwarz war und der tief liegende Augen, eine stolz geschwungene Nase und hohe Wangenknochen hatte.
»Spionieren Sie anderen Leuten immer hinterher?«, fragte er spöttisch.
»Sind Sie immer so unhöflich zu Leuten?«, gab sie entrüstet zurück. »Ich war zuerst hier. Sie hätten erst überprüfen sollen, ob Sie allein sind, bevor sie etwas Heimliches tun.«
»Sie sind ein freches Luder«, erwiderte er und musterte sie von oben bis unten. »Kann ich mir Ihr Schweigen mit einem Zweischillingstück erkaufen?«
Beth verstand diese Frage nicht und starrte ihn nur an.
»Fünf Schilling?«, fragte er.
Plötzlich wurde ihr klar, was er meinte. Zeugin eines ehebrecherischen Treffens zu werden war schockierend genug für sie, aber dass er sie bestechen wollte, damit sie niemandem davon erzählte, war beleidigend. »Wie können Sie es wagen zu glauben, dass man mein Schweigen erkaufen kann?«, wollte sie wütend wissen. »Ich habe kein Interesse an Ihnen oder Ihrer Freundin. Es hätte völlig ausgereicht, mich einfach zu bitten, niemandem zu erzählen, was ich gesehen habe.«
Er wirkte etwas bedrückt. »Tut mir leid«, sagte er. »Es ist nur ...« Er beendete den Satz nicht.
Beth wurde mutiger. Den ganzen Tag lang hatte sie sich darüber geärgert, dass der Reederei das Wohlergehen der ärmeren Passagiere völlig egal war, und etwas gegen jemanden aus der ersten Klasse in der Hand zu haben gab ihr das Gefühl, endlich quitt zu sein. Sie trat näher, direkt an die Reling. »Dass sie die Frau von einem anderen ist?«
Er hätte sie sich leicht schnappen können, aber er sah sie nur traurig an. »Sie sind zu jung, um das zu verstehen«, sagte er mit einem Seufzen.
»Sie wären überrascht, was ich alles verstehe«, gab sie zurück und dachte an das Geständnis ihrer Mutter auf ihrem Sterbebett. »Ich weiß, dass Leidenschaft Menschen dazu bringt, kopflos zu handeln.«
Er lächelte amüsiert. »Und was, oh Weise, soll ich machen, wenn ich eine
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