Echo Park
Zimmer. Bosch folgte ihr und schloss hinter sich die Tür, durch die gerade noch Osbornes letzten Worte drangen.
»Was ist mit der richterlichen …«
Als sie hinter der Schalterbeamtin vorbeigingen, bat Walling sie, die Schwingtür zu öffnen. Rachel hielt ihren Zwei-Schritte-Vorsprung auf Bosch, als sie in den Flur hinausmarschierten. Es gefiel ihm, hinter ihr zu gehen, und er bewunderte ihr Auftreten. Führungsstärke in Reinkultur.
»Gibt es hier in der Nähe ein Starbucks, wo wir uns die Akte ansehen können? Ich würde auch gern einen Blick reinwerfen, bevor ich zurückfahre.«
»Es gibt immer ein Starbucks in der Nähe.«
Sie verließen das Gebäude und liefen in Richtung Osten los, bis sie zu einem winzigen Imbiss mit einer kleinen Theke und ein paar Hockern kamen. Das war auf jeden Fall besser, als nach einem Starbucks zu suchen. Während Bosch bei dem Mann hinter der Theke zwei Tassen Kaffee bestellte, schlug Rachel bereits den Ordner auf.
Bis der Kaffee auf die Theke gestellt und bezahlt war, hatte Rachel eine Seite Vorsprung vor Bosch. Sie saßen nebeneinander, und sie reichte ihm jeweils eine Seite, wenn sie damit fertig war. Sie lasen schweigend, und keiner von beiden trank seinen Kaffee. Mit dem Kaffee hatten sie sich lediglich den Arbeitsplatz an der Theke erkauft.
Das erste Dokument in der Akte war eine Kopie von Foxworth’ Geburtsurkunde. Er war im Queen of Angels Hospital auf die Welt gekommen. Als seine Mutter war Rosemary Foxworth eingetragen, geb. 21.6.54 in Philadelphia, Pa., Vater unbekannt. Wohnsitz der Mutter war in der Orchid Avenue in Hollywood gewesen. Bosch siedelte die Adresse im Herzen eines Viertels an, das sich mittlerweile Kodak Center nannte und Teil der umfassenden Sanierung Hollywoods war. Inzwischen prägten dort Glamour, Glas und rote Teppiche das Bild, aber 1971 hatten es noch Nutten und Drogensüchtige bestimmt.
In der Geburtsurkunde waren auch der Arzt, der die Entbindung vorgenommen hatte, und ein mit dem Fall betrauter Sozialarbeiter des Krankenhauses aufgeführt.
Bosch rechnete nach. Rosemary Foxworth war siebzehn Jahre alt gewesen, als sie ihren Sohn auf die Welt gebracht hatte. Kein Vater eingetragen oder bei der Geburt anwesend. Kein Vater bekannt. Die Eintragung des Sozialarbeiters bedeutete, dass das County die Rechnung für die Entbindung übernommen hatte, und der Wohnsitz der Mutter verhieß nichts Gutes für einen glücklichen Lebenseinstieg des kleinen Robert.
All das fügte sich in Boschs Kopf zu einem Bild, das wie ein Polaroidfoto immer deutlichere Umrisse entwickelte. Er nahm an, Rosemary Foxworth war eine Ausreißerin aus Philadelphia, die in Hollywood gelandet war und dort mit Gleichgesinnten in irgendeinem Loch gehaust hatte. Wahrscheinlich hatte sie auf den Straßen der näheren Umgebung als Prostituierte gearbeitet. Vermutlich hatte sie Drogen genommen. Sie brachte den Jungen zur Welt, und dann schritt irgendwann das County ein und nahm ihn ihr weg.
Mit jedem Dokument, das Rachel ihm gab, gewann die tragische Geschichte weiter an Kontur. Als Robert Foxworth zwei Jahre alt war, wurde seiner Mutter das Sorgerecht für ihn entzogen. Von nun an war die DCFS für ihn zuständig und brachte ihn in den nächsten sechzehn Jahren seines Lebens in ständig wechselnden Heimen und Pflegefamilien unter. Bosch stellte fest, dass sich unter den Einrichtungen, in denen Foxworth untergebracht gewesen war, auch die McLaren Youth Hall in El Monte befand, in der auch Bosch ein paar Jahre seiner Kindheit verbracht hatte.
Die Akte war voll mit psychiatrischen Gutachten, die im jährlichen Turnus erstellt worden waren, oder wenn Foxworth wieder einmal bei einer Pflegefamilie rausgeflogen war. Alles in allem betrachtet, dokumentierte die Akte den Verlauf eines verpfuschten Lebens. Traurig, ja. Ungewöhnlich, nein. Es war die Geschichte eines Kindes, das seinem einzigen Elternteil weggenommen und anschließend von der Institution, die ihn stattdessen unter ihre Obhut genommen hatte, ähnlich unzureichend versorgt worden war. Foxworth wurde von einer Unterbringung zur nächsten weitergereicht. Er hatte nie ein richtiges Zuhause oder eine richtige Familie. Wahrscheinlich erfuhr er nie, was es hieß, erwünscht oder geliebt zu sein.
Beim Lesen dieser Seiten stiegen Erinnerungen in Bosch auf. Zwei Jahrzehnte vor Foxworth hatte auch Bosch diesen Weg durch das System durchlaufen. Er hatte mit den entsprechenden Narben überlebt, doch der Schaden, den er davongetragen
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