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Echo Park

Echo Park

Titel: Echo Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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oder wie immer du es nennen willst. Olivas fügte diese Zeile nachträglich in die Chronologie ein und hielt sie mir dann unter die Nase. Ihm war klar, dass ich, wenn ich den Vermerk sähe und für bare Münze nähme, unweigerlich zu der Überzeugung gelangen würde, mein Partner und ich hätten einen Mordsbock geschossen, der in der Folge mehrere Menschen das Leben kostete. Alle diese Frauen, die Waits danach ermordet hat, hätten wie eine schwere Last auf mir gelegen.«
    »Okay.«
    »Und es hätte Hassgefühle auf Waits in mir geschürt. Ich wollte den Kerl, der Marie Gesto umgebracht hat, dreizehn Jahre lang unbedingt fassen. Wenn es Olivas gelungen wäre, auch noch die ganzen anderen Frauen ins Spiel zu bringen und ihren Tod mir anzulasten, hätte das die Atmosphäre zusätzlich aufgeheizt, wenn ich dem Mann schließlich gegenüberstünde. Und das hätte mich abgelenkt.«
    »Wovon?«
    »Von der Tatsache, dass Waits Marie Gesto gar nicht umgebracht hat. Er hat es zwar gestanden, aber er hat es nicht getan. Er hat mit Olivas und möglicherweise auch O’Shea irgendeine Abmachung getroffen und sich bereiterklärt, auch diesen Mord auf seine Kappe zu nehmen, weil er wegen all der anderen ohnehin dran war. Ich war so sehr von meinem Hass geblendet, dass ich darüber den entscheidenden Punkt aus den Augen verlor. Ich habe nicht mehr auf die Details geachtet, Rachel. Ich wollte nur noch eines – über den Tisch springen und dem Kerl die Gurgel umdrehen.«
    »Du vergisst dabei aber etwas.«
    »Was?«
    Jetzt beugte sie sich über den Tisch und sprach betont leise, um die anderen Gäste nicht zu stören.
    »Er hat euch zu der Leiche geführt. Woher soll er gewusst haben, wo sie im Wald vergraben war, wenn er sie nicht umgebracht hat?«
    Bosch nickte. Das war ein berechtigter Einwand, aber einer, mit dem er sich bereits befasst hatte.
    »So unmöglich wäre das keineswegs. Er könnte die entsprechenden Hinweise zum Beispiel in seiner Zelle von Olivas erhalten haben. Sie könnten auf den altbewährten Trick von Hänsel und Gretel zurückgegriffen haben – eine durch einzelne Markierungen gekennzeichnete Spur, die nur für ihn zu erkennen war. Ich werde heute Nachmittag noch mal nach Beachwood Canyon rauffahren. Und ich bin mir ziemlich sicher, wenn ich die Strecke noch mal abgehe, werde ich die Markierungen finden.«
    Bosch langte über den Tisch, nahm ihren leeren Teller und tauschte ihn gegen seinen eigenen, unangetasteten. Sie protestierte nicht.
    »Du glaubst also, eure Exkursion in den Beachwood Canyon diente lediglich dem Zweck, dich zu täuschen«, sagte sie. »Du meinst, Waits bekam die wichtigsten Informationen über den Mord an Marie Gesto zugespielt, um sie dann in sein Geständnis einzubauen und dich wie Rotkäppchen zu der Stelle im Wald zu locken, wo sie vergraben war.«
    Er nickte.
    »Genau das glaube ich. Ich weiß, wenn man es so komprimiert darstellt, hört es sich ein bisschen weit hergeholt an, aber …«
    »Mehr als nur ein bisschen.«
    »Was?«
    »Mehr als nur ein bisschen weit hergeholt. Zuallererst, woher kannte Olivas die Einzelheiten, die er an Waits weitergab? Woher wusste er, wo sie vergraben war, um Waits den Weg zu der Stelle markieren zu können? Oder willst du etwa behaupten, Olivas hat Marie Gesto umgebracht?«
    Bosch schüttelte energisch den Kopf. Er fand, sie übertrieb ihre Rolle als advocatus diaboli, und wurde allmählich ärgerlich.
    »Nein, damit will ich nicht sagen, dass Olivas der Mörder war. Ich sage nur, dass der Mörder Kontakt mit ihm aufgenommen hat. Mit ihm und O’Shea. Der wahre Mörder hat sich mit ihnen in Verbindung gesetzt und ihnen einen Deal vorgeschlagen.«
    »Harry, das hört sich einfach absolut …«
    Sie führte den Satz nicht zu Ende. Sie schob die Sashimi mit den Stäbchen auf ihrem Teller herum, aß aber kaum davon. Der Kellner ergriff die Gelegenheit, um an ihren Tisch zu kommen.
    »Haben Ihnen die Sashimi nicht geschmeckt?«, fragte er mit zitternder Stimme.
    »Nein, ich …«
    Sie verstummte, als sie merkte, dass sie fast noch die ganze Portion auf dem Teller vor sich hatte.
    »Ich habe nur zu spät gemerkt, dass ich eigentlich gar keinen Hunger habe.«
    »Wenn sie wüsste, was sie sich da entgehen lässt«, sagte Bosch lächelnd. »Ich fand sie ganz hervorragend.«
    Der Kellner trug die Teller ab und sagte, er brächte ihnen gleich die Dessertkarte.
    »›Ich fand sie ganz hervorragend‹«, äffte Rachel Bosch nach.

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