Echo Park
Flucht gelungen ist, ist Waits am Drücker. Und wenn er nicht auf den Kopf gefallen ist – was er offensichtlich nicht ist –, macht er sich das zunutze. Er wird hierbleiben und aus O’Shea herausholen, so viel nur irgend geht.«
»Du meinst, er wird ihn erpressen?«
»Vielleicht. Waits befindet sich im Besitz der Wahrheit. Er weiß, was gespielt wurde. Damit stellt er eine Gefahr für O’Shea und seine politischen Ambitionen dar. Und wenn er zu O’Shea Kontakt aufnehmen kann, ist er jetzt derjenige, der den Herrn Kandidaten nach seiner Pfeife tanzen lassen kann.«
Sie nickte.
»Mit der Frage, wer wen in der Hand hat, hast du einen interessanten Punkt angeschnitten«, sagte sie. »Was wäre gewesen, wenn deine gigantische Verschwörung wie geplant über die Bühne gegangen wäre? Du weißt schon, Waits nimmt Gesto und alle anderen auf seine Kappe und kommt lebenslänglich ohne die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung nach Pelican Bay oder San Quentin. Dann sitzt er dort in seiner Zelle und weiß über alles Bescheid – und kann mit diesem Wissen entsprechenden Druck auf die Verschwörer ausüben. Er ist weiterhin eine Gefahr für O’Shea und seine politischen Ambitionen. Weshalb sollte sich der angehende Bezirksstaatsanwalt von Los Angeles County in eine solch riskante Position begeben?«
Der Kellner kam mit der Kreditkarte und der endgültigen Rechnung zurück. Bosch fügte ein Trinkgeld hinzu und unterschrieb. Das war wohl das teuerste Mittagessen seines Lebens, das er nicht gegessen hatte.
Nachdem er seinen Namen auf das Papier gekritzelt hatte, schaute er zu Rachel auf.
»Gute Frage, Rachel. Die genaue Antwort darauf weiß ich noch nicht, aber ich nehme mal an, O’Shea oder Olivas oder sonst jemand hatte auch für diese letzte Phase schon einen Plan. Und vielleicht ist das der Grund, weshalb Waits beschloss abzuhauen.«
Sie runzelte die Stirn.
»Du lässt dich also nicht davon abbringen, oder?«
»Im Moment nicht.«
»Na dann, viel Glück. Ich glaube, du wirst es brauchen.«
»Danke, Rachel.«
Er stand auf und sie ebenfalls.
»Hast du dein Auto vom Valetservice wegbringen lassen?«, fragte sie.
»Nein, ich stehe drüben in der Garage der Bibliothek.«
Das hieß, sie würden das Restaurant durch verschiedene Ausgänge verlassen.
»Kommst du heute Abend vorbei?«, fragte er.
»Wenn es in der Arbeit nicht zu spät wird. Angeblich kriegen wir aus der Zentrale in Washington einen Fall. Soll ich dich einfach anrufen?«
Er sagte, das wäre schön, und begleitete sie zu der Tür, die in die Garage führte, wo die Leute vom Parkservice warteten. Dort umarmte er sie und verabschiedete sich von ihr.
DREIUNDZWANZIG
Bosch fuhr die Hill Street hinauf und bog dann links in die Caesar Chavez, die wenig später zum Sunset Boulevard wurde, auf dem er durch Echo Park fuhr. Er rechnete nicht damit, Raynard Waits zu entdecken, wie er an einer Ampel über die Straße ging oder aus einer Medicina- Ambulanz oder einem der Migra- Büros entlang der Straße kam. Dennoch verließ sich Bosch in diesem Fall auf seinen Riecher, und der sagte ihm, dass Echo Park als Zufluchtsort ein heißer Tipp war. Je länger er hier herumfuhr, umso vertrauter wäre ihm die Gegend, und umso besser wäre er bei seiner Suche. Riecher hin oder her, in einem Punkt war er sich ganz sicher. Bei seiner Festnahme war Waits auf dem Weg zu einem bestimmten Ziel in Echo Park gewesen. Und danach würde sich Bosch jetzt auf die Suche machen.
Er hielt nicht weit von der Quintero Street im Parkverbot und ging zum Pescado-Mojado-Grill. Dort bestellte er Camerones a la diabla und zeigte dem Mann, der seine Bestellung aufnahm, und den Kunden in der Schlange das Foto, das von Waits nach seiner Festnahme gemacht worden war. Alle reagierten mit dem üblichen Kopfschütteln, und die auf Spanisch geführten Unterhaltungen kamen zum Erliegen. Bosch ging mit seinem Teller Krabben zu einem Tisch und aß sie rasch auf.
Dann fuhr er von Echo Park nach Hause, um statt seines Anzugs eine Jeans und einen Pullover anzuziehen, und machte sich anschließend auf den Weg nach Beachwood Canyon und zur Sunset Ranch hinauf. Der Parkplatz war leer, und Bosch fragte sich, ob wegen des Polizeiaufgebots und des Medienrummels am Tag zuvor niemand zum Reiten gekommen war. Er stieg aus, holte ein zehn Meter langes Seil aus dem Kofferraum und ging auf demselben Pfad, auf dem er am Tag zuvor Waits gefolgt war, in den Wald.
Er war kaum unter den Bäumen verschwunden, als
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