Echo Park
»Mistkerl.«
»Entschuldige.«
Als der Kellner die Dessertkarten brachte, winkten beide ab und bestellten nur Kaffee. Danach schwieg Rachel, und Bosch beschloss, einfach abzuwarten.
»Warum jetzt?«, fragte sie schließlich.
Bosch schüttelte den Kopf.
»Das weiß ich nicht genau.«
»Wann hast du dir das letzte Mal die Akte kommen lassen und dich aktiv mit dem Fall beschäftigt?«
»Vor zirka fünf Monaten. Das Video, das ich dir neulich gezeigt habe – das war das letzte Mal, dass ich mich mit der Sache befasst habe. Ich war gerade dabei, wieder mal einen Anlauf zu machen.«
»Was hast du unternommen, außer Garland wieder einzubestellen?«
»Alles. Ich habe mit allen gesprochen und sie aufgesucht. Garland habe ich erst am Ende einbestellt.«
»Glaubst du, es war Garland, der an Olivas herangetreten ist?«
»Damit sich Olivas und möglicherweise auch O’Shea auf so einen Deal eingelassen hätten, hätte es jemand mit einer Menge Geld und Einfluss sein müssen. Die Garlands haben beides.«
Der Kellner brachte den Kaffee und die Rechnung. Bosch legte eine Kreditkarte auf Letztere, aber der Kellner war schon wieder gegangen.
»Sollen wir uns die Rechnung denn nicht wenigstens teilen?«, schlug Rachel vor. »Du hast ja nicht mal was gegessen.«
»Nein, schon gut. Was du dazu zu sagen hast, macht die Sache mehr als wett.«
»Das sagst du bestimmt zu allen Frauen.«
»Nur zu denen vom FBI.«
Sie schüttelte den Kopf. Er sah erneut Zweifel in ihren Augen.
»Was ist?«
»Ich weiß nicht, es ist nur …«
»Nur was?«
»Was, wenn du es von Waits’ Standpunkt aus betrachtest?«
»Ja?«
»Dann hört es sich einfach ziemlich an den Haaren herbeigezogen an, Harry. Wie eine dieser abstrusen Verschwörungstheorien. Man nimmt die vorliegenden Fakten und fügt sie so zusammen, bis sie zu einer weit hergeholten Theorie passen. Marilyn hat nicht Selbstmord begangen, sondern die Kennedys haben sie von der Mafia aus dem Weg räumen lassen. So in dem Stil.«
»Aber was ist jetzt mit Waits’ Standpunkt?«
»Ich meine, warum sollte er das tun? Warum sollte er einen Mord gestehen, den er nicht begangen hat?«
Bosch machte eine Bewegung mit den Händen, als schöbe er etwas von sich.
»Das ist nun wirklich einfach zu beantworten, Rachel. Er hat es getan, weil er nichts zu verlieren hat. Als Müllsack-Mörder ist er ohnehin geliefert. Wenn er vor Gericht gestellt wird, kriegt er zweifellos die Giftspritze – wie Olivas ihm gestern dort oben noch mal vor Augen geführt hat. Die einzige Chance, sein Leben zu retten, bestand darin, seine Taten zu gestehen. Und wenn Ermittler und Ankläger von ihm verlangen, dass er noch einen Mord drauflegt, was hätte Waits da schon groß sagen sollen? Sie hatten ihn vollkommen in der Hand, und wenn sie zu ihm gesagt hätten: ›Nimm noch einen auf deine Kappe!‹, hätte er brav mit dem Kopf genickt und gesagt: ›Wen?‹«
Sie nickte.
»Und da ist noch etwas«, fügte Bosch hinzu. »Er wusste, wir würden eine Exkursion mit ihm machen, und ich bin sicher, er hat sich sofort Hoffnungen gemacht. Er wusste, dass sich ihm bei dieser Gelegenheit vielleicht eine Möglichkeit zur Flucht bieten würde. Und als sie ihm sagten, er müsste uns durch den Wald fuhren, wurde diese Chance in seinen Augen noch etwas größer, und entsprechend wuchs auch seine Kooperationsbereitschaft. Möglicherweise war sogar diese Exkursion sein einziger Beweggrund.«
Sie nickte wieder. Er konnte nicht erkennen, ob er sie in irgendeinem Punkt überzeugt hatte. Eine Weile saßen sie nur schweigend da. Dann kam der Kellner und nahm die Kreditkarte. Das Mittagessen war beendet.
»Und was wirst du jetzt tun?«, fragte sie.
»Wie gesagt, zunächst fahre ich noch mal nach Beachwood Canyon rauf. Und danach werde ich mir den Mann vorknöpfen, der mir alles erklären kann.«
»O’Shea? Er wird nie mit dir reden.«
»Ich weiß. Mit ihm will ich auch gar nicht reden. Noch nicht zumindest.«
»Du willst Waits suchen?«
Er konnte die Skepsis in ihrer Stimme hören.
»Ganz genau.«
»Der ist doch längst über alle Berge, Harry. Er hat zwei Polizisten erschossen. In L. A. beträgt seine Lebenserwartung gleich null. Denkst du, er bleibt in diesem County, wo jeder mit einer Knarre, einer Dienstmarke und der Lizenz zum Töten nach ihm Ausschau hält?«
Bosch nickte langsam.
»Er ist noch hier«, sagte er voller Überzeugung. »Alles, was du sagst, ist richtig, nur dass du dabei eines vergisst. Seit ihm die
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