Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)
ausgetauscht wurde, die man kurz zuvor in Moskau enttarnt hatte.
Daniel: Also war es doch nicht eure Unterschriftenaktion, sondern eher diplomatisches Kalkül.
Christian: Natürlich, diplomatisches Kalkül. Wäre die DDR-Führung ehrlicher mit uns umgegangen, hätte es 1989 vielleicht keinen Mauerfall gegeben. Aber die Leute fanden immer mehr Lügen und Halbwahrheiten heraus und dies ließ sie noch wütender auf Ulbricht, Honecker und Co werden.
Daniel: Verständlich. Und der Empfang von Westfernsehen scheint ja auch außerhalb von Berlin noch geklappt zu haben, wenn ihr das damals sehen konntet? Musste man eigentlich mit Strafen rechnen, wenn man dabei erwischt wurde?
Christian: Ich bin mir sicher, dass es ganz offiziell keinen Strafkatalog für Westfernsehen gegeben hat. Aber auch hier war es wieder so wie bei vielen anderen Beispielen. Es kam auf den jeweiligen kleinen Machthaber vor Ort an. Kam es offiziell raus, dass jemand ARD oder ZDF schaute, wurde das seinem sozialistischen Betrieb gemeldet, und wenn es extrem schlecht für ihn lief, dann gab es im jeweiligen Monat keinen Prämienlohn. Dies konnten schnell mal 200 Mark weniger in der Lohntüte sein und dann für die gesamte Brigade. Das galt offiziell als Maßnahme, um die sozialistische Persönlichkeit zu formen und zu stärken. Alles nur um unser großes Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
Daniel: Moment mal. Da mussten alle im Betrieb dafür haften, wenn einer etwas Verbotenes getan hatte? Sippenhaft? Das ist allerdings schlecht für das Arbeitsklima.
Christian: Und eben weil dann das Arbeitsklima schnell im Eimer war, lenkten die politischen Sündenböcke sofort wieder ein. Wer will schon Schuld daran sein, dass alle Brigademitglieder weniger Geld am Monatsende mit nach Hause nehmen, nur, weil ich bewusst oder unbewusst etwas falsch gemacht habe – jedenfalls nach Meinung derer, die den Menschen neuen Typus erzogen.
Nach meinem ZDF-Erlebnis mit dem Genossen Corvalan fühlte ich mich sehr machtlos. Wütend lag ich in meinem Bett, als ich nach Hause kam. Warum durften die Lehrer uns soviel Schwachsinn erzählen? Warum durfte ich ihnen nicht entgegenschreien, dass sie lügen?
Dann gab es einen weiteren Vorfall: Ich stand in so gut wie allen Unterrichtsfächern auf der Note 1. Lediglich in Sport bekam ich eine Drei. Sogar im Staatsbürgerkundeunterricht erhielt ich immer die Bestnote. Bis zu dem Tag, als der Lehrer mich nach vorn vor die Klasse rief und mir ankündigte, mich heute mündlich abzufragen. Und dass die Note, die ich dafür bekommen werde, einer großen Klassenarbeit entspräche. Lampenfieber hatte ich keins, denn ich kannte die letzte Direktive des letzten Parteitages und die historische Mission der AK konnte ich im wachen Zustand, als auch im Schlaf herunterbeten.
Daniel: Schon wieder eine Abkürzung. AK, das heißt wahrscheinlich Arbeiterklasse. Habt ihr denn auch in Alltagsgesprächen ständig alles abgekürzt?
Christian: Die DDR war nicht nur die führende Wirtschaftsmacht im RGW-Raum, sondern auch Weltmeister im Abkürzen von Worten. AK bedeutete Arbeiterklasse, da hast du recht. Soll ich dir auch gleich noch die historische Mission sagen?
"Die historische Mission der AK besteht in der Entmachtung der kap. Gesellschaftsordnung und in der Aneignung der PM."
Und bevor du jetzt nochmal nachfragen musst, sage ich es dir lieber gleich: kap. ist natürlich kapitalistisch und mit PM sind die Produktionsmittel gemeint.
Teste mich doch mal mit ein paar Abkürzungen aus dem Westen.
Daniel: Tja, schade. Das wird wohl nichts. Das ist nämlich gerade das, was ich meine: Ich kann mich nicht erinnern, dass in unserer Gesellschaft überhaupt irgendetwas abgekürzt wurde. Abkürzungen gab es vielleicht bei Firmennamen und in manchen Berufszweigen für fachspezifische Begriffe. So kann PM in der Pressewelt zum Beispiel auch Pressemeldung heißen.
Aber statt der AK gab es bei uns nur Bundesbürger. Und statt dem ZK den Bundestag.
Christian: Oh, oh! Beide Vergleiche sind grundweg falsch. Die AK ist doch nur ein Teil der Bürger. In der DDR wurde da noch aufgeteilt in die Intelligenz, die Bauern und die Gewerbetreibenden. Und dein Schnellschuss mit dem Vergleich von ZK und Bundestag, also lass dies bloß nie meinen Stabülehrer hören. Das Parlament der DDR war die Volkskammer und das ZK, das war doch das Zentralkomitee der SED, also eine wichtige und vor allem mächtige Gruppierung innerhalb der
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