Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)
wie fühlte ich mich, als ich zum ersten Mal im Wohnzimmer der Familie meines Mitschülers saß und die Vorabendserien sehen durfte. Ich war in einer völlig fremden Welt. In manchen Serien nahmen mich die Helden dann noch mit auf Reisen und ich konnte zusehen, wie sie die Erde umkreisten. Lassie wirkte dagegen sehr harmlos, aber doch auch schön. Diese Filme und Serien vom Klassenfeind waren so attraktiv, natürlich, weil sie verboten waren, aber ich denke, unbewusst waren sie auch beliebt, weil keine politisch ideologische Erziehung erfolgte.
Daniel: Ja, Lassie habe ich sehr gern gesehen. Das lief in den 80ern immer noch. Was damals aber vor allem sehr angesagt war, waren actionlastige US-Serien wie das A-Team, Knight Rider, McGyver und natürlich Miami Vice. Vor allem beim A-Team frage ich mich heute manchmal, wie ich als Kind diese ganze Verniedlichung von Gewalt – die haben ziemlich herumgeballert – ansehen durfte. Das waren ja alles Serien, die tagsüber liefen. Nur Miami Vice lief im Abendprogramm, und meine Mutter hat mich das nur ein- oder zweimal sehen lassen, als mein Vater nicht da war. Was ich auch schon als Grundschüler gesehen habe: James Bond. Die Filme liefen ja ständig am Samstagabend bei der ARD. Auch gewaltverherrlichend. Und sogar ein bisschen politisch. Wenngleich die Bösen eher im Ostblock zu suchen waren.
Christian: Na, na, Daniel, immer langsam. Ich habe gelernt, dass das Böse im Westen sitzt. Spaß beiseite, von dem was du mir hier an Filmen aufzählst, kenne ich bis heute nur James Bond. Und wenn man mal so einen Film in heutiger Zeit sieht, dann kommen sie zumindest mir völlig harmlos vor.
Mit dem Westfernsehen kam es bei mir jedenfalls, wie es kommen musste. Die Sender des politischen Feindes brachten mein junges politisches Bewusstsein, das sowieso nicht auf dem richtigen Kurs war, noch mehr durcheinander.
Meine Mutter hatte mir an zwei Tagen in der Woche das Westfernsehen bei der Familie in der Nachbarschaft erlaubt. Punkt 19 Uhr sollte ich dort hingehen, um wenige Minuten später zu Hause sein zu können. Aber wie das manchmal so ist, wurden es auch mal ein paar Minuten mehr. Und als jemand, der gern Nachrichten hörte, war ich fasziniert von den 19 Uhr-Nachrichten im ZDF. Ich weiß heute nicht mehr genau, ob es der Reiz war, etwas Verbotenes zu sehen und zu hören, oder ob es mein Urinstinkt nach Wahrheitsfindung war – aber ich saugte diese Nachrichten förmlich in mich auf. Völlig verwirrt war ich eine Zeit lang, wenn die Nachrichtensprecher nicht einfach nur "Berlin" sondern "Ostberlin" sagten, wenn sie die Hauptstadt meines Landes meinten.
Daniel: Was habt ihr denn stattdessen für Ostberlin gesagt?
Christian: Hallo? Wie bist du denn drauf? Regelmäßig haben die Oberen der DDR folgenden Satz gebracht: "Berlin ist die Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik. Ihr Status ist unantastbar."
Oft wurde dann im Nachsatz noch ein aktueller Fall gebracht, wo ein Westjournalist unsere heilige Hauptstadt mit dem Namen "Ostberlin" besudelt hat. Hätte jemals ein Schüler in seiner Schule den Namen "Ostberlin" fallen lassen, ich hätte nicht bei der Explosion des Lehrers dabei sein wollen.
Daniel: Darauf wäre ich nie gekommen. Wenn wir unseren Teil von Berlin nicht einfach nur "Berlin" genannt haben, dann eben Westberlin. Aber der Zusatz "West" war schon eher für Fernsehmoderatoren reserviert, als für das alltägliche Gespräch. Gut, und Hauptstadt war Berlin in unserem Fall sowieso nicht.
Christian: Als ich mit dem Westfernsehen Bekanntschaft machte, das war auch die Zeit, in der ich eine neue Qualität der Wahrheit beider Seiten kennenlernte. Ich erinnere mich noch sehr genau an den Tag, als wir Schüler den Genossen Luis Corvalan freigekämpft haben. Er war der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Chiles und Diktator Pinochet hatte ihn nach seinem Militärputsch eingesperrt. Daraufhin haben alle Schüler der DDR dagegen protestiert. Diesmal nicht mit gemalten roten Nelken, sondern mit unzähligen Unterschriftenaktionen. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Der Genosse Corvalan sollte schon heute freigelassen worden sein, hieß es. In der Schule hatten wir ausgiebig im Staatsbürgerkundeunterricht unseren heroischen Sieg gefeiert und am Abend desselben Tages stand ich vor den Westnachrichten und musste mitansehen, wie der Genosse Corvalan in der Schweiz ein Flugzeug verließ und wie er gegen zwei amerikanische Agenten
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