Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)
ABV dafür gesorgt hatte, dass wir wegen unserer Antenne keinen Ärger bekamen.
Daniel: Denver-Clan lief auch noch, als ich Kind war. Und da es damals noch keine Alternativen wie den Kinderkanal oder SuperRTL gab, habe ich das auch angesehen. Heute kann ich mich nicht mehr erinnern, worum es da überhaupt ging.
Christian: Das Westfernsehen ist übrigens auch ein sehr schönes Beispiel dafür, dass es einige Entwicklungen innerhalb der DDR gab, gegen die nicht einmal das allmächtige MfS etwas Wirksames tun konnte.
Oftmals bin ich unsportlicher Typ mittags den Weg von meiner Schule im Dauerlauf nach Hause gerannt und habe das Schulessen ausfallen lassen, nur, um noch den Rest einer Bundestagsdebatte im ZDF miterleben zu können. Gestalten wie Franz Joseph Strauss, Herbert Wehner oder auch Helmut Schmidt haben mich zutiefst beeindruckt. Sie haben laut und manchmal mit Schimpfwörtern um Wahrheiten gestritten, die Demokratie lebendig gehalten. Aus der Volkskammer kannte ich solche Debatten nicht. Dort wurden alle Reden abgelesen, Zwischenrufe gab es keine und abgestimmt wurde immer einstimmig.
Daniel: Wie alt warst du da? Du hast dir als Schüler tatsächlich freiwillig Bundestagsdebatten angesehen? Wow!
Christian: So um die 14 muss ich gewesen sein. Aber wir mussten von der Schule aus des öfteren Parteitagsreden des Genossen Erich Honecker lauschen. Oder, wenn es ganz schlimm kam, auch mal einer Rede des Ministerpräsidenten Willi Stoph. Die Reden waren so monoton und so langweilig, dabei hätte jeder gut schlafen können. Das war so eintönig, dass mir der Bundestag wie ein Krimi vorkam. Schon als 14-Jährigem war mir klar, was in der DDR falsch lief. Freie Meinungsäußerung gehört eben nicht in den real existierenden Sozialismus, da konnten wir in Stabü noch so lang über den Menschen neuen Typus‘ nachdenken.
Bei uns war eine Parlamentssitzung eher ein Kuschelverein, obwohl wir viel mehr Parteien hatten als ihr. Zu Anfang habe ich den Bundestag noch mit der Volkskammer verglichen, aber schon bald hatte ich bemerkt, dass Welten dazwischen liegen. Betrat in Berlin CDU-Chef Gerald Götting die Rednertribüne der Volkskammer hieß es einmal mehr: "Lasst uns gemeinsam unter Führung der Arbeiterpartei den Sozialismus aufbauen!"
Daniel: Echt? In der DDR gab es mehr als eine Partei? Ich dachte, bei euch gab es nur die SED! Und bei der Wahl musste man sich entscheiden zwischen „ja“ und „nein“. Für die Partei oder dagegen. Und wer dagegen stimmt, wird einkassiert. So haben wir uns das zumindest im Westen ausgemalt.
Christian: Nein, wir hatten mehr Parteien als die SED. Sie war natürlich die stärkste. Aber es gab bei uns auch die CDU, die LDPD (Liberalen), die NDPD (Nationaldemokraten) und die DBD (Bauern). Und dann gab es auch Stimmen in unserer Volkskammer, die waren den großen gesellschaftlichen Gruppierungen in der DDR vorenthalten. Da waren die Gewerkschaften, der Frauenbund und die Künstler. Besonders geschickt gemacht war es natürlich, wenn Künstler oder Gewerkschaftler gleichzeitig in der SED waren, aber für die Gewerkschaft im Parlament saßen. So nutzte die SED überall ihre undemokratischen Vorteile. Wer am Wahltag nicht im Wahllokal erschien, wurde daraufhin entweder nie angesprochen, er wurde am Montag darauf im Betrieb zur Rede gestellt oder ich kenne auch Fälle, wo die Wahlhelfer dann wenige Minuten vor Schließung der Wahllokale mit der fliegenden Wahlurne in die Wohnung des Betreffenden kamen und ihn zur Abgabe seiner Stimme nötigten.
Daniel: Gut, so viele Parteien hatten wir ja auch. Im Bundestag landeten natürlich immer die CDU/CSU, die SPD und die FDP – und später die Grünen.
Die Frage ist, wie viel Prozent die anderen Parteien bei euch hielten – und wie viel eigene Meinung sie eingebracht haben. Wenn alle immer brav „ja“ gestimmt haben, dann müssen sie ja ziemlich gekuscht haben.
Was natürlich ganz neu für mich ist, sind diese gesellschaftlichen Vertreter in der Volkskammer. Hätte ja eigentlich ein ziemlich buntes Treiben sein müssen ...
Christian: Tja, »wenn das Wörtlein „wenn“ nicht wär, wenn der Kuhdreck Butter wäre, wäre ich längst im Paradies«, so jedenfalls erzählte mein Großvater immer. Aber zurück zu deiner Frage. Ja, sie haben sehr viel miteinander gekuschelt. Wer nicht kuscheln wollte und auf freie Meinungsäußerung aus war, der wurde gefeuert, egal welcher Partei oder Organisation er angehörte.
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