Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)
sozialistischen Betrieben gab es nur Genossen und Kollegen. Später erst habe ich gelernt, dass es in christlichen Kreisen Brüder und Schwestern gibt.
5. Noch ein Stückchen Antenne
Christian: Das Westfernsehen übte weiterhin einen ungeheuren Reiz auf die DDR-Bevölkerung aus und auch auf mich. Als ich in so etwa der 7. Klasse war, drängelte und meckerte ich zu Hause bei meiner Mutter so lange herum, bis sie sich endlich in die Niederungen des Schwarzmarktes begab. Es gab in unserer Kleinstadt einen Hausmeister, der tagsüber für die Schulgebäude zuständig war, und an den Wochenenden Antennen baute, mit deren Hilfe man Westfernsehen schauen konnte.
Daniel: Wir hatten Ende der 80er übrigens in Mannheim auch so ein kleines Empfangsproblem. Eigentlich hatten fast alle Haushalte immer noch keinen Kabelanschluss und empfingen nur ARD, ZDF und ein oder zwei dritte Programme – verrauscht konnten wir zum Beispiel noch den Hessischen Rundfunk hereinbekommen. Für die coolen, neuen Programme brauchte man eben einen neuen Anschluss, der natürlich auch etwas kostete, und den fast niemand hatte.
Dann gab es bei uns in der Region ein Pilotprojekt. Von Heidelberg aus wurden nun RTL und SAT1 per Antenne übertragen. Allerdings war der Empfang so schlecht, dass man bestenfalls eines der beiden Programme störungsfrei sehen konnte. Es war nach Straßen unterteilt. Ich lebte in einer RTL-Straße.
Christian: Bei uns waren die Menschen glücklich, bei denen es aufgrund der Lage ihres Hauses ausreichte, eine Antenne unter dem Dach, also auf dem Dachboden zu montieren. Bei uns reichte das nicht. Wir brauchten eine Antenne auf dem Dach, für jeden sichtbar. Der ABV, also der Abschnittsbevollmächtigte, machte zusammen mit Hilfspolizisten Rundgänge durch die Stadt. Dort wo mit dem Blick auf die Antenne klar war, dass Westfernsehen empfangen wurde, wurde geklingelt. Der Eigentümer der Antenne wurde aufgefordert, diese abzubauen. Dies wurde schriftlich festgehalten und für das Abbauen wurde eine Frist gesetzt. Zum Glück kannte meine Mutter die Hilfspolizistin sehr gut und die wiederum sorgte dafür, dass der mächtige ABV in unserem Falle nichts unternahm.
Ab sofort stand mein Abendritual fest. Um Punkt 19 Uhr schaute ich im ZDF Nachrichten, danach um 19.30 Uhr die Aktuelle Kamera der DDR und um 20 Uhr die Nachrichten der ARD. Für mich war es spannend die Verdrehungen, Unterschlagungen, Halbwahrheiten und Lügen der Nachrichtenmacher zu verfolgen.
Eine Folge dieses täglichen Nachrichtenmarathons war, dass ich noch mehr draußen aufpassen musste, welche Informationen ich preisgab. Erzählte ich beispielsweise eine Information, die ich aus dem Westfernsehen erhalten hatte, konnte dies unangenehme Nachfragen nach sich ziehen.
Daniel: Ein interessanter Blick in zwei Welten. Im Westen hat natürlich niemand Ostfernsehen gesehen. Wir hatten also immer nur eine Sicht auf die Dinge.
Christian: Tja, Daniel, hättest du es mal ab und zu getan. Dann wüsstest du jetzt, was der FDGB war und warum ich noch heute den EVP so sehr schätze.
Daniel: Schon wieder Abkürzungen! Unglaublich. Falls das irgendwelche Fernsehsendungen waren – nein, bei uns hatten nicht einmal diese Abkürzungen. Aber verraten, was sich hinter diesen kryptischen Kürzeln verbirgt, musst du mir jetzt doch.
Christian: Also noch eine kleine Nachhilfestunde im Fach Abkürzungen: Der FDGB war der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund und der EVP war der Einheitliche Verkaufspreis. Letzteren wünsche ich mir allerdings wieder zurück. Mit seiner Hilfe konnte ich mich darauf verlassen, dass ein Produkt in Rostock, Berlin oder Suhl auf den Pfennig genau denselben Preis hatte.
Es war die Zeit des Denver-Clans. Amüsant war es immer, wenn meine Mutter aus ihrem Kindergarten folgende Story erzählte: Die Küche, die ja ihr Arbeitsbereich war, war zugleich Treffpunkt der Kindergartenleiterin und einiger Erzieherinnen. Klar, dass die Erzieherinnen die letzte Folge des Denver-Clans auswerteten. Wenn sich dann die Leiterin der Einrichtung dazugesellte und mit einer Bemerkung verriet, ebenfalls diesen Film gesehen zu haben, erinnerte meine Mutter sie daran: "Aber Frau Jasmund, Sie als Genossin und Hilfspolizistin dürfen davon doch gar keine Ahnung haben." Die Genossin Leiterin antwortete nie darauf. Nur manchmal lächelte sie und meinte: "Ach, Frau Döring, reden sie bloß draußen nicht darüber." Es war übrigens dieselbe Hilfspolizistin, die beim
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