Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)
SED.
Daniel: Entschuldigung. Aber du siehst schon ein, dass das für den Außenstehenden ziemlich kompliziert erscheint?
Christian: Ich gebe ja zu, für einen Wessi ist das alles schwer zu durchschauen, aber wenn man das alles quasi mit der Muttermilch gefüttert bekam, dann sitzt das noch Jahrzehnte nach dem Mauerfall. Unsere Regierung war der Ministerrat der DDR.
Auch damals konnte ich meinem Stabülehrer alle seine Fragen einwandfrei beantworten. Mich beschlich mehr und mehr das Gefühl, dass mein Lehrer mir etwas Böses anhängen will. Immer wieder stellte er Nachfragen und wollte mich auch auf so manch einen Irrweg locken.
Plötzlich brach er die Befragung ab und erklärte mir, dass meine erbrachte Leistung einer Eins entspräche, er sie mir aber nicht geben kann. Weiter fragte er mich, warum ich sonntags in die Kirche gehe. Ich erklärte ihm, dass ich Christ sei und deshalb in den Gottesdienst gehe.
"Ja, aber dann kannst du ja gar nicht an die Richtigkeit dessen glauben, was du eben geantwortet hast", stellte mein Lehrer fest.
Eine Pause entstand und ich wusste, ich musste jetzt reagieren.
Wie ein Schuldiger stand ich vor meiner Klasse. Mein Lehrer stand mitten in der Klasse und fragte in den Raum hinein: "Ja, wie soll ich denn das jetzt bewerten?"
Plötzlich hörte ich mich sagen: "Alle Fragen, die Sie mir gestellt haben, habe ich richtig beantwortet."
Mein Lehrer kam nach vorn und erklärte: "Du kannst dich setzen. Ich gebe dir eine Drei. Du hast zwar richtig geantwortet, aber dein politischer Standpunkt ist miserabel. Christen sind rückschrittlich, und so lange du dieser Gruppe angehörst, kann ich dich nicht besser als Drei bewerten."
Ich saß auf meinem Platz und mein ganzer Körper war ein Bündel von ohnmächtiger Wut. Keine einzige Chance sah ich, um gegen diese Sache anzugehen. Im Nachhinein betrachtet war dies das Ereignis, das endgültig meinen Standpunkt klar machte. Ich gehörte auf die Seite der Kirche.
Daniel: Das erklärt ein bisschen, warum in der DDR Kirche und Widerstand gegen das Staatssystem so nah beieinanderlagen. Das hat mich schon immer irritiert. Im Westen hat man uns doch in christlichen Kreisen eher beigebracht, dass Widerstand gegen die Staatsgewalt ungöttlich sei. Ganz klar rebellisch, so wie der Teufel selbst. Widerstand, das haben die Terroristen geleistet – und das konnte wohl kaum richtig sein, was die machten.
Deswegen konnte ich das nie so ganz zusammenbringen, mit den Kirchen, die in der DDR scheinbar die Keimzelle des – friedlichen – Protests waren. Von außen ist es auch schwer zu sagen, ob die Leute, die in den Ostkirchen protestiert haben, dorthin gegangen sind, weil sie sonst nirgendwo hin konnten. Also einfach nur politisch waren, und der Glaube eher im Hintergrund stand.
Christian: Ich erinnere mich noch sehr gut an die Anfänge der Proteste in unserer Schwaaner Kirche. Niemand wusste damals im Herbst 1988, was Monate später daraus werden konnte. Aber plötzlich kamen Leute in die Kirchen, die man vorher niemals dort gesehen hatte. Für viele Christen war das sehr irritierend. Dann kam es immer auf den jeweiligen Pastor vor Ort an. Wir beispielsweise hatten einen jungen Pastor, mit dem ich oft geschimpft habe, weil er manchmal, nur um zu provozieren, die Staatsmacht angegriffen hatte.
Der Pastor war der Ansicht, man müsse diesen Leuten einen Ort geben, denn sonst war kein anderer Ort vorhanden. Schon nach wenigen Treffen war immer sofort nach Beginn einer Veranstaltung klar, wer von der Stasi war. Mit Blickkontakten oder auch Gemurmel wussten dann nach zehn Minuten alle, wer zur Stasi gehörte. Die armen Brüder hatten damals kein leichtes Leben. Vielleicht wussten sie gar nicht, wie wir sie verarscht haben. Wichtige Informationen wurden beispielsweise immer erst nach den Veranstaltungen und dem obligatorischen Abendsegen ausgetauscht. Die Stasileute waren die Ersten, die gingen, und schon begannen hitzige politische Diskussionen. Das alles war gefährlich, aber niemand wusste, wie real die Gefahr wirklich war.
Daniel: Mit "Brüder" meinst da jetzt wahrscheinlich die "sozialistischen Brüder". Im Westen würde man Menschen, die nicht verwandt sind, nämlich nur Brüder nennen, wenn man zu bestimmten christlichen Gemeinschaften gehört und seine Geschwister im Herrn meint.
Christian: Brüder war in diesem Zusammenhang ironisch gemeint. Es waren im offiziellen Sprachgebrauch der DDR natürlich Genossen. In den
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