Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)
Chef war nebenbei erfolgreicher Fotograf? Gab es Gründe, dass er nicht Vollzeit diesem Beruf nachging?
Christian: Für mich ist Eckhart Sturz eine der ganz großen Gestalten der DDR-Diakonie. Hauptberuflich hat er als Hausvater das Clara-Dieckhoff-Haus geleitet. Wobei er niemals ein Büromensch war. So hat diese Einrichtung beispielsweise die Baumwollwindeln für 40 Lieger selber waschen müssen. Dies geschah in einem elektrischen Vehikel, das übermannsgroß war und längst ins Museum gehörte. Dieses Gerät war ständig kaputt. Ersatzteile gab es nicht, aber die Windeln mussten gewaschen werden. Also kroch Eckhart in dieses Vehikel hinein, um es zu reparieren und kam manchmal nach Stunden erst heraus, aber die Maschine lief wieder ein paar Tage.
Verbrachte er einen Samstag nicht in diesem Waschvehikel, verließ er früh morgens das Haus, kam er dann abends zurück, fragte ich ihn manchmal: „Wo warst du denn den ganzen Tag?" Einmal gab er mir zur Antwort: „Ich habe Schwäne beim Abflug fotografiert." Ziemlich blöd fragte ich weiter: „Und das dauert so lange? Also ich hätte einfach einen Stein ins Wasser geworfen und die Vögel wären losgeflogen." Voller Mitleid erklärte er mir: „Aber viel schöner sind doch die Bewegungen der Schwäne, wenn sie sich von ganz allein entscheiden, sich in die Lüfte zu begeben." Der Mann lag stundenlang auf einem Ruderboot und beobachtete Schwäne und wartete auf den richtigen Moment.
Er fotografierte aber auch behinderte Menschen und machte damit auf sie aufmerksam. Zahlreiche Bildbände hat er veröffentlicht. In Onlineantiquariaten sind seine Bücher noch zu finden. Leider ist er heute so gut wie vergessen, ebenso wie der bedeutendste christliche DDR-Schriftsteller Alfred Otto Schwede. Der hatte das Glück, dass die DDR-Kirche ihn für seine schriftstellerische Tätigkeit freistellte. Dieses Glück hatte Eckhart Sturz nicht und mit dem geringen Einkommen eines DDR-Autors konnte er nicht seine Familie ernähren.
Es dauerte übrigens keine Woche und ich hatte eine offizielle schriftliche Entschuldigung des HO Backwaren in meinem Briefkasten und dazu einen Gutschein in Höhe von 50 Mark der DDR. Und damals konnte man sich viel mehr für 50 Mark der DDR kaufen als heute für 50 Euro. Ein Schwarzbrot beispielsweise kostete 52 Pfennige.
Daniel: HO war noch mal?
Christian: Handelsorganisation. Im ganzen Land gab es HO-Geschäfte, vergleichbar vielleicht mit einer heutigen Supermarktkette, obwohl alle Preise landesweit gleich waren.
Wäre mir diese Geschichte einen Monat nach der Wahl zur Volkskammer passiert, hätte sich kein Mensch darum gekümmert. Aber so war die ABI dafür zuständig, eventuelle verärgerte Nichtwähler oder Kritiker bei Laune zu halten.
Daniel: Das ist ja schön und gut, wenn sie dir eine ordentliche Entschädigung gezahlt haben. Aber wie groß war die Gefahr, dass so etwas passierte? Man will ja nicht unbedingt morgens erst einmal alle Brötchen abtasten müssen, bevor man hineinbeißt ...
Christian: Die Gefahr war sehr groß. Ich habe später von einem Freund „unter der Hand" erfahren, dass die bereits geformten Brötchen auf einem Förderband dem Backofen entgegenfuhren. Oft waren diese Förderbänder jedoch kaputt oder höchst reparaturbedürftig, aber sie mussten weiterlaufen und so manch eine Schraube oder Häkchen brach auch mal ab und geriet in den Teig. Die Bevölkerung musste weiter täglich beliefert werden. Und es war wie überall in der DDR, es fehlte nicht am Willen, etwas ordnungsgemäß zu reparieren, sondern am Material oder den Ersatzteilen.
Selbst habe ich davon gehört, dass es einige Leute gegeben hat, die sich über furchtbar lange Wartezeiten beim Trabikauf beschwert haben. Manchmal bekamen sie eine Woche später ihren heiß ersehnten Flitzer. So war die DDR unberechenbar und voller Geheimnisse bis zum Schluss.
21. Ausreisekandidaten und Waschlappen
Christian: In den letzten DDR-Jahren habe ich in der Reuterstadt Stavenhagen gewohnt und im Katharinenstift gearbeitet. Diese diakonische Einrichtung war das Zuhause für 40 geistig behinderte Jugendliche.
Diese konnten laufen und es war unmenschlich, wie sie gehalten wurden. Der Ausdruck im letzten Satz ist nicht schön, aber ich habe ihn sehr bewusst gewählt. Wie anders soll man es vergleichen, wenn 40 Jugendliche sich zwei Badewannen und sieben Waschlappen teilen mussten. Einmal in der Woche wurde gebadet. Das warme Badewasser kam aus einem Ofen, den wir
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