Echte Biester: Roman (German Edition)
Zentimeter hoch Wasser stand, war auch nicht gerade hilfreich.
Wie so oft übernahm sein leerer Magen die Kontrolle über sein Hirn. Vor seinem inneren Auge sah er die köstlichsten Dinge vor sich: Buttermilchpancakes, eingerahmt von mageren Speckstreifen, schottischem Räucherlachs und saftigen jadegrünen Kiwischeiben. Er war so überwältigt, dass ihm Tränen in die Augen traten.
Derek war nicht an Einsamkeit gewöhnt. Letzte Nacht hatte er, unter Links Sumpfboot kauernd, zum ersten Mal allein in der Wildnis geschlafen – eine Tatsache, die Millionen seiner Fans schockiert hätte. Derek vermisste es, den Regisseur und das Team herumkommandieren zu können. Und auch Raven Stark fehlte ihm, die ihn ständig bemutterte und auf all seine Launen einging.
Am meisten vermisste er den allabendlichen Flug mit dem Hubschrauber, der ihn in sein feudales Hotel zurückbrachte, wo er sich im Whirlpool entspannen konnte.
Als er sah, dass das Sumpfboot sich noch mehr mit Wasser füllte, wurde ihm immer mulmiger zumute. Wenn erst mal der Motor unter Wasser stand, würde er mitten in den verdammten Everglades festsitzen. Schnell machte er sich daran, mit der Helmkamera Wasser aus dem Boot zu schöpfen.
Bei strömendem Regen war das harte Arbeit und Derek hielt nicht länger als fünfzehn Minuten durch. Verdrossen und erschöpft suchte er unter einer Baumgruppe Schutz – die dämlichste Entscheidung, die er hätte treffen können, da ein Gewitter in der Luft lag. Von einem wilden Kaffeestrauch pflückte er sich eine Handvoll roter Beeren, die so widerlich schmeckten, dass er sie sofort wieder ausspuckte.
Dann setzte er sich unter einen Lorbeerbaum, von dessen Blättern es auf ihn tropfte. Der Boden war so aufgeweicht, dass er sich die Helmkamera unter den Hintern schob.
Der Wind frischte auf und blies ihm ins Gesicht. Derek versuchte vergeblich, an etwas anderes als Essen zu denken. Als ein hübscher Schmetterling, dessen Flügel wie weißes Pergament aussahen, sich auf einer Ranke niederließ, schnappte Derek sich den nichts Böses ahnenden Flatterer und schob ihn sich in den Mund. Er schmeckte fast ebenso scheußlich wie die Kaffeebeeren. Als Derek ihn runterschluckte, wusste er gleich, dass er einen Fehler gemacht hatte.
Wenn der Blitz nicht eingeschlagen hätte, hätte er sich sofort übergeben.
»Habt ihr ihn schon gefunden?«, fragte Gerry Germaine.
»Es hat da eine kleine Verzögerung gegeben«, sagte Raven Stark. Das Satellitentelefon in ihrer Hand schien so schwer wie eine Hantel zu sein. »Zwei von unseren Suchbooten wurden …«
»Was?«
»… entführt.«
»Von wem? Von Piraten?«, fragte Gerry Germaine in sarkastischem Ton. »Wo bist du, Schätzchen? In Florida oder in Somalia?«
»Ich habe nicht entführt gemeint, sondern gekapert .« Raven stand nicht der Sinn nach Wortklaubereien. Das war ohnehin schon der schlimmste Tag ihres ganzen bisherigen Lebens. »Anscheinend geht es dabei um Familienstreitigkeiten.«
»Die Kurzfassung, bitte.« Der leitende Produzent von Expedition Überleben! saß am Pool seines Hauses mit Blick auf den Pazifik und trank einen Grapefruit-Mandarine-Smoothie. Er hatte eine Sonnenbrille auf und trug einen kurzen Bademantel aus Leinen sowie lächerliche, mit Wieselpelz besetzte Pantoffeln. Vor ihm auf dem Tisch stand sein Laptop.
»Die Sache ist die«, sagte Raven. »Der Tiertrainer, den wir angeheuert haben, hat einen Sohn. Dieser Sohn hat eine Freundin. Der Vater der Freundin hat Alkoholprobleme. Heute Morgen ist er hier aufgekreuzt, um nach seiner Tochter zu suchen. Mit einem geladenen Revolver …«
»Das ist die Kurzfassung?«
»Getötet wurde niemand …«
»Du verdirbst mir gerade den Sonnenaufgang«, warf Gerry Germaine ein.
»… zumindest glauben wir, dass niemand getötet wurde.«
»Womit du meinst, ihr wisst es nicht genau.«
»Er hat einmal geschossen«, fuhr Raven fort, »auf das Sumpfboot, in dem seine Tochter saß. Aber wie gesagt, wir nehmen an, dass niemand getroffen wurde. Dann ist er …«
»Moment mal. Sucht eigentlich irgendjemand, während sich dieses Familiendrama abspielt, nach dem unzuverlässigen und extrem überbezahlten Mr. Badger? Dem Star meiner Sendung? Ja oder nein?«
»Im Moment nicht.« Raven saß allein in Dereks Wohnmobil. Der Regen peitschte gegen die Fenster. »Zurzeit haben wir hier so was Ähnliches wie Monsunwetter«, erklärte sie. Mit ihrer freien Hand rührte sie den heißen Tee um, der in einem Becher vor ihr stand.
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