Echte Morde
auf den Weg zu meiner Mutter, wobei ich versuchte, mir nicht allzu sehr leid zu tun. Ich aß sonntags immer bei ihr, es sei denn, sie war mit Kunden unterwegs oder besuchte eine ihrer unzähligen Maklerkonferenzen.
Mutter hatte, was bei ihr selten vorkam, den Sonntagmorgen zu Hause verbracht und war bester Stimmung: Nach dem Drama bei mir zu Hause war es ihr am Vortag noch gelungen, für den stolzen Preis von 200.000 Dollar ein Haus zu verkaufen.
Wie viele Frauen schaffen es wohl, sich an einem einzigen Tag fast von einer Praline vergiften zu lassen, von der Polizei vernommen zu werden und anschließend eine teure Immobilie an den Mann zu bringen?
„Ich versuche gerade, John zu überreden: Ich würde sein Haus gern zum Verkauf anbieten", verkündete sie beim Roastbeef.
„Was? Warum soll er sein Haus verkaufen? Es ist wunderschön!"
„Seine Frau ist schon ein paar Jahre tot, die Kinder sind längst erwachsen und ausgezogen. Er braucht dieses große Haus nicht, er muss sich darin doch einsam fühlen."
„Du bist seit zwölf Jahren geschieden, dein Kind ist schon lange ausgezogen - du brauchst auch kein großes Haus", wandte ich ein. Ich fragte mich schon seit geraumer Zeit, warum meine Mutter das zweistöckige Backsteinhaus, in dem ich aufgewachsen war, nicht verkaufte. „Vier Schlafzimmer, drei Bäder, Wohnzimmer mit Kamin" - eine erstklassige Immobilie.
„Gut möglich, dass John bald woanders hinzieht", meinte Mutter einen Tick zu beiläufig. „Wahrscheinlich heiraten wir."
Mein Gott, jeder heiratete!
Es gelang mir, mich zusammenzureißen und meiner Mutter zuliebe eine beglückte Miene aufzusetzen. Sogar die richtigen und auch durchaus ernstgemeinten Kommentare brachte ich über die Lippen. Es schien sie zu freuen.
Was um alles in der Welt sollte ich den beiden zur Hochzeit schenken?
„Da John scheinbar im Moment nicht über sein Engagement bei Echte Morde reden mag", wechselte Mutter plötzlich das Thema, „warum erzählst du mir nicht etwas über euren Verein?"
„John ist Experte für Lizzie Borden", erläuterte ich. „Wenn du wissen willst, wofür er sich wirklich interessiert, außer für dich und Golfspielen natürlich, musst du dich mit Lizzie beschäftigen. Es gibt da ein gutes Buch von Victoria Lincoln: ,A Private Disgrace'. Eins der besten Bücher, die ich je über den Fall Borden gelesen habe."
„Entschuldige bitte die Frage, aber wer war Lizzie Borden?"
Ich starrte Mutter wie vom Donner gerührt an. „Das ist ungefähr so, als würdest du einen Baseballfan fragen, wer Micky Mantle war!", stöhnte ich nach einer Weile. „Ich habe nicht geahnt, dass es Menschen gibt, die nicht wissen, wer Lizzie Borden war. Frag John, der sabbelt dir zu dem Thema ein Ohr ab! Aber er weiß es bestimmt zu schätzen, wenn du vorher das Buch liest."
Mutter notierte sich den Titel wahrhaftig in ihrem kleinen Notizbuch. Ihr war es ernst mit John Queensland, sie dachte wirklich daran, ihn zu heiraten. So recht hätte ich nicht sagen können, wie es mir damit ging, ich wusste nur, wie ich mich fühlen sollte. Also verhielt ich mich so, als würde ich wirklich alles fühlen, was ich in einem solchen Moment hätte fühlen müssen, und das machte zumindest meine Mutter glücklich.
„Mir geht es nicht nur darum, mich mit John halbwegs informiert über seine Interessen unterhalten zu können, obwohl das natürlich auch eine Rolle spielt", sagte Mutter. „Ich würde gern allgemein ein paar Dinge über euren Club erfahren. Du und John, ihr werdet beide mit diesem schrecklichen Mord in Verbindung gebracht, und wir zwei haben die Pralinen geschickt bekommen. Ich möchte mehr über den Hintergrund dieser Dinge erfahren."
„Also gut: Wie lange gibt es Echte Morde schon? Ich glaube, so vor drei Jahren hat alles angefangen, da fand im ,Thy Sting', dem Krimibuchladen in der Stadt, eine Signierstunde statt. Es ging um ein Buch über historische Morde, und bei der Signierstunde tauchten alle auf, die jetzt bei uns im Club sind.
Weißt du, es war einfach ein witziger Zufall, all diese Leute aus Lawrenceton, die sich für dieses eine bestimmte Thema interessierten! Wir haben an Ort und Stelle ausgemacht, in Kontakt zu bleiben und hier irgendetwas aufzuziehen. Wir fingen an, uns einmal im Monat zu treffen, und langsam hat sich auch ein Rahmen für diese Abende herauskristallisiert. Meist gibt es einen Vortrag über einen bestimmten ,echten' Mordfall mit anschließender Diskussion, manchmal findet auch nur eine
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