Echte Morde
Grauen.
Nach und nach hielten weitere Polizeifahrzeuge hinter dem ersten Streifenwagen, und die Routine nahm ihren Lauf. Lynn Liggett traf als eine der ersten ein und fing sofort an, den Uniformierten Befehle zu erteilen, die der nächste Streifenwagen ausspuckte.
„Wie kommt es, dass Sie hier sind?", begrüßte sie mich ohne Vorrede.
„Haben Sie für Lizanne einen Krankenwagen gerufen?", fragte ich. Langsam fing ich an, die fremdartige Passivität abzuschütteln, die von mir Besitz ergriffen hatte, dieses Gefühl, durch einen Traum zu waten.
„Ein Krankenwagen ist unterwegs."
„Gut. Ich war auf dem Weg zur Arbeit. Lizanne kam aus dem Haus und sah so aus, wie sie jetzt immer noch aussieht. Sie sprach ein paar Worte mit mir, ich öffnete die Tür, warf einen Blick hinein, ging nach nebenan zur Nachbarin und ließ die Polizei rufen."
Lynn Liggett stieß die Tür auf und warf einen Blick ins Haus.
Ich hielt die Augen starr geradeaus gerichtet. Liggetts helle Haut nahm einen kleinen Grünstich an, ihre Lippen pressten sich so fest aufeinander, dass sie kreideweiß wurden.
In diesem Moment fuhr zu meiner großen Erleichterung der Krankenwagen vor. Lizannes Gesicht war womöglich noch durchsichtiger geworden, und sie schien jegliche Kontrolle über ihre Hände verloren zu haben. Ihr Atem ging ungleichmäßig und flach. Als die Männer mit der Bahre die Treppe heraufkamen, stützte sie sich schwer auf mich, ohne die Anwesenheit der Sanitäter mitzubekommen. Das machte nichts, die beiden luden sie schnell und effizient auf ihre Bahre. Ich ging neben ihr bis zur Straße und hielt ihre Hand, aber sie wusste gar nicht, dass ich da war. Als sie die Bahre in den Krankenwagen schoben, schien sie bewusstlos.
Benommen sah ich dem orange-weißen Krankenwagen nach, der sich in den Verkehr einfädelte und davonbrauste. Ich durfte wahrscheinlich noch nicht gehen, und so hockte ich mich auf die Kühlerhaube von Lynns Wagen und wartete, wie mir schien, eine halbe Ewigkeit. Denken mochte ich nicht, ich starrte einfach vor mich hin. Irgendwann einmal wurde mir bewusst, dass Lynn Liggett neben mir stand.
„Es wird doch niemand Lizanne verdächtigen, das steht doch wohl nicht zur Debatte, oder?", fragte ich, ohne mit einer Antwort zu rechnen. Wahrscheinlich würde Liggett mir gleich befehlen, mich zu verpissen, denn das alles hier ging mich nichts an. Aber irgendetwas hatte die Frau seit unserer letzten Begegnung erweicht. Wir beide hatten Schreckliches mit ansehen müssen, das verband.
„Nein." Detective Liggett schüttelte den Kopf. „Niemand verdächtigt Lizanne. Die Nachbarin sagt, sie hätte sie an die hintere Tür hämmern hören und dann gesehen, wie sie nach vorne ging und die Haustür aufschloss. Das war wohl so ungewöhnlich, dass die Nachbarin schon von sich aus daran gedachte hatte, die Polizei zu informieren. Wenig später kam Lizanne wieder raus, und Sie tauchten auf. Man braucht mehr als sieben Minuten, um das zu tun, was da drin getan wurde und sich danach zu säubern. Außerdem ließ sich ziemlich leicht feststellen, dass Lizannes Eltern schon ungefähr eine Stunde lang tot waren, bevor sie hierherkam."
„Mr. Buckley war heute um vierzehn Uhr zur Arbeit in der Bibliothek eingetragen", sagte ich. „Für morgen stehen er und ich für die Abendstunden auf dem Dienstplan."
„Das weiß ich, das kann man dem Monatsplaner in der Küche entnehmen."
Aus irgendeinem Grund fing ich an zu zittern, als ich das hörte. Lynns Job beinhaltete, dass sie sich die Kalender toter Menschen ansah, während diese noch in ihrem geronnenen Blut direkt daneben lagen. All die Verabredungen, die niemand mehr einhalten würde. Meine Haltung Lynn Liggett gegenüber änderte sich dort auf dem Rasen, in jener Minute, fundamental.
„Sie wissen, wonach das aussieht?", flüsterte ich.
„Nach dem Fall Borden."
Ich musste wohl sehr überrascht gewirkt haben.
,,Arthur ist auch da drin", erklärte Liggett. „Ich habe es von ihm."
Richtig: Genau in diesem Moment trat auch Arthur aus dem Haus, im Gesicht denselben leicht grünlichen, streng beherrschten Ausdruck wie seine Kollegin. Er nickte mir zu, ohne zu fragen, was ich hier tat.
„John Queensland. Er ist der Experte für den Fall Borden", sagte ich. Arthur nickte.
„Das war mir auch eingefallen. Ich rufe ihn gleich heute Nachmittag an."
Ich musste an das entzückende ältere Paar denken, das ich noch am Abend zuvor im Restaurant so lebensfroh erlebt hatte.
Jetzt würde ich
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