Echte Morde
zurück musste, nahm ich mir sogar noch die Zeit, sie mit Namensschildern zu versehen. Es ließ sich ja sowieso nicht mehr vermeiden, dass ich zu spät kam.
Der Weg zurück zur Bibliothek führte mich in nördlicher Richtung die Parson Road hinauf. Dabei kam ich am Haus der Buckleys vorbei, es lag zu meiner Linken.
Rein zufällig fuhr ausgerechnet ich vorbei, als Lizanne aus der Tür kam. Ich sah gerade nach links, um die Blumen im Vorgarten der Buckleys zu bewundern, da ging deren Haustür auf, und eine Gestalt kam herausgestolpert. Dass es Lizanne war, erkannte ich nur an der Haarfarbe und der Figur und daran, dass es das Haus ihrer Eltern war, das sie verließ, denn nichts an der Haltung und dem Benehmen der Gestalt erinnerte auch nur im entferntesten an die Lizanne, die ich kannte. Sie sackte auf der Türschwelle zusammen und klammerte sich an das schwarze, schmiedeeiserne Geländer, das an den roten Ziegelstufen entlang zum Haus hoch führte.
Gott möge mir vergeben: Ein Teil von mir wollte einfach weiterfahren, wollte zurück in die Bibliothek und in gesegnetem Nichtwissen seiner Arbeit nachgehen. Aber die andere Hälfte steuerte mein Auto. Die, die mir einflüsterte, dort drüben säße meine gute Freundin und brauche meine Hilfe. Ich hielt am Straßenrand und überquerte erst die Straße und dann die Rasenfläche vor dem Haus, voller Angst vor der Ankunft beim Haus selbst, voll Angst, zu erfahren, warum Lizannes Gesicht so verzerrt war und was die Flecken an ihrer Strumpfhose, besonders an den Knien, zu bedeuten hatten.
Zuerst bekam Lizanne gar nicht mit, dass ich da war. Die langen Finger mit den sorgfältig gepflegten Nägeln zerrten an ihrer Kleidung, ihr Atem ging in heftigen Stößen, immer wieder von einem schrecklichen Wimmern unterbrochen. In ihrem Gesicht erkannte ich Tränenspuren, obwohl keine Tränen mehr flossen.
Sie roch, als hätte sie sich gerade übergeben. Von all ihrer süßen, achtlosen, selbstverständlichen Schönheit war keine Spur mehr verblieben.
Ich legte den Arm um sie. Sie roch sauer, was ich zu ignorieren versuchte, aber mein Magen spielte nicht mit und meldete sich stark irritiert. Um ein Haar wäre das leckere Mittagessen der Crandalls wieder hochgekommen. Ich musste einen Moment lang die Augen schließen. Als ich sie wieder aufschlug, starrte Lizanne mich an, die Hände zu Fäusten geballt.
„Sie sind tot, Roe", sagte sie mit furchtbarer Deutlichkeit.
„Meine Mama und mein Papa sind tot. Ich habe mich hingekniet, um nachzusehen, ob es wirklich stimmt. Ich habe das Blut von meinem Daddy an den Kleidern."
Sie starrte auf ihre Kleidung. Dieser grauenhaften Situation konnte ich einfach nicht gerecht werden, ich wusste ganz genau, dass ich es nie schaffen würde, adäquat zu reagieren. Also ließ ich meinen Gedanken freien Lauf, und die widmeten sich der Aufgabe, die sie besonders gut beherrschten: Sie zeichneten ein Muster auf. Ein schreckliches, unpersönliches Muster, in das wirklich Menschen gepresst wurden, bis sie hineinpassten, bis sie dem Muster gerecht wurden. Diesmal bestand das Muster aus Lizanne, einer toten Stiefmutter, einem toten Vater und einer blutigen Gräueltat am helllichten Tag. Wo wohl das Beil sein mochte?
„Ich kam wie immer zum Mittagessen hinten an die Küchentür. Das mache ich jeden Tag", stieß Lizanne plötzlich hervor.
„Die Tür war verschlossen, niemand öffnete mir, also ging ich nach vorn und schloss die Tür hier auf - das ist der einzige Schlüssel zum Haus, den ich habe. Sie waren ... an den Wänden war Blut."
„An den Wänden?", wisperte ich erschrocken — mir war nicht klargewesen, dass ich überhaupt etwas sagen wollte.
„Ja." Mit einem entschiedenen Nicken bestand Lizanne auf diesem unfassbaren Faktum. „An den Wänden. Paps liegt auf dem Sofa, Roe, wo er immer sitzt, wenn er fernsieht und er ist von oben bis unten ... er ist... Mama liegt oben im Gästezimmer neben dem Bett."
Ich drückte sie, so fest ich konnte. Sie klammerte sich an mich.
„Ich hätte sie so nicht sehen dürfen", wisperte sie. „Das ist nicht recht."
„Nein."
Dann sagte sie nichts mehr.
Ich musste die Polizei rufen. Ich stand auf, bedächtig, wie eine alte Frau, und so fühlte ich mich auch, steinalt. Ich drehte mich nach der Tür um, die Lizanne hinter sich geschlossen hatte, streckte wie im Traum die Hand nach der Klinke aus und stieß die Tür auf. Überall war Blut, in breiten Bahnen über die Wände verteilt. Blut an den Wänden,
Weitere Kostenlose Bücher