Echten Maennern gibt man ein Kuesschen - Roman
einen Seite flankiert von seinem Trainer und auf der anderen von seinem ihm speziell zugewiesenen ProTrain-Pressesprecher oder, falls nötig, Übersetzer. Über jedem Wettkämpferpodium hing zur besonderen Unterstreichung die jeweilige Nationalflagge von der Decke herab.
Heute war auf die wie eine zweite Haut wirkenden Lycraanzüge verzichtet worden, stattdessen trugen die Wettkämpfer blaue Trainingsanzüge, die an einigen attraktiver aussahen als an anderen. Insbesondere Toyan Radoslav erinnerte in seinem Outfit an eine große überreife Blaubeere. Wenn auch an eine freundlich und glückselig grinsende Blaubeere.
Die Interviews wurden ebenfalls absolviert wie eine Militäroperation. Jedem Journalisten standen exakt fünfzehn Minuten mit jedem Wettkampfteilnehmer zur Verfügung; die Reihenfolge war im Voraus bestimmt und ihnen am Eingang mit der strikten Anweisung ausgehändigt worden, sich an die Zeiten zu halten, da sie ansonsten die Chance auf ein Interview verspielen würden. Auf jedem Podest stand ein ProTrain-Lakai buchstäblich mit einer Stoppuhr in der Hand Wache, um sicherzustellen, dass alles genauso ablief wie vorgesehen.
Alex sah sich im Saal um und stellte fest, dass sie nervös war.
Als sie von der Reiseredaktion in die Feature-Redaktion gewechselt war, war sie anfangs immer nervös gewesen, wenn sie Leute interviewt hatte. Alex war keine typische Journalistin; sie verfügte nicht über den Killerinstinkt, der manchmal erforderlich war. Sie mochte die Menschen zu sehr. Zum Glück hatten ihre Vorgesetzten erkannt, dass ihr Einfühlungsvermögen sie zu einer guten Interviewerin machte, und setzten einen anderen,
haiartigeren Kollegen auf die Geschichten an, bei denen man im Schmutz wühlen musste. Wobei Alex gelegentlich, wie in ihrem Fast-Foodies-Artikel, selber auf schmutzige Machenschaften stieß, aber es war nicht ihre Art, sich wie ein Aasgeier auf jede Art von Abgründen zu stürzen, die das Leben bereithielt. Doch allmählich hatte sie ihre Furcht überwunden, die damit einherging, sich selbst in Szene zu setzen, und war zu einer der Besten geworden, wenn es darum ging, gewöhnliche Leute oder Promis dazu zu bringen, aus sich herauszugehen und sich zu öffnen.
Doch jetzt war sie unerklärlicherweise wieder einmal nervös.
Und es war auch nicht gerade förderlich, dass die Inseln so arrangiert worden waren, dass die Interviewer das Gefühl hatten, ein Bewerbungsgespräch vor einem Auswahlgremium zu führen. Schließlich sollte sie die Wettkämpfer befragen und nicht umgekehrt, doch so fühlte es sich ganz und gar nicht an, als sie von einem Mitglied der Spaßverderberpolizei zu ihrer ersten Insel zitiert wurde, nämlich nach Australien.
Mit seinen fröhlichen hellblauen Augen und seiner golden schimmernden, gesunden Sonnenbräune sah Wayne Gibson sogar noch besser aus als am Abend zuvor aus der Ferne. Sein geschmeidiger Körper war weiter nach hinten gelehnt, als man es auf einem Stuhl mit gerader Rückenlehne für möglich gehalten hätte, wohingegen sein Trainer, Joe Dodds, ein eins fünfundfünfzig kleiner, glatzköpfiger ernster Mann die Hände vor sich auf den Tisch gelegt hatte und nach vorn gebeugt dasaß wie ein kampfbereiter Pitbull.
Es war Joe, der das Reden übernahm, schnell und begierig, ohne sonst jemanden zu Wort kommen und ohne Raum für irgendwelche Fragen zu lassen; er hielt einen gleichförmigen, rasend schnell heruntergespulten Monolog über die Wettkämpfe, die Wayne von Norwegen bis Neuseeland gewonnen
hatte, und stellte klar, dass es nicht den geringsten Zweifel geben könne, dass er auch als Sieger aus dem ProTrain-Wettkampf hervorgehen werde.
Wayne hing die ganze Zeit nur schlaff auf seinem Stuhl und nickte gemächlich.
Sie waren Yin und Yang. Feuer und Wasser. Der Relaxte und der Übereifrige. Alex vermutete, dass ihre Beziehung anders nicht funktionieren würde. Nur jemand, der so lethargisch war wie Wayne, konnte es mit einem derart anmaßenden Typen wie Joe Dodds aushalten.
Von den erlaubten fünfzehn Minuten waren bereits zehn vorbei, und bisher hatte Wayne während der ganzen Zeit nur ein einziges Wort sagen können, und das war »Hallo« gewesen.
»… Natürlich ist Australien das Geburtsland des Ironman. Und noch heute ist Australien das Mekka, was diese Art Wettkampf angeht.« Joe redete unermüdlich weiter. »Und da unser Wayne der Beste der Besten dieses Mekkas ist, steht außer Frage, dass er den übrigen Wettkampfteilnehmern in diesem Saal haushoch
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