Echten Maennern gibt man ein Kuesschen - Roman
redete er ohne Unterlass. Er weigerte sich, auf seinem Stuhl sitzen zu bleiben, und streifte stattdessen auf seiner kleinen Insel umher wie ein Tiger im Käfig. Er hatte seine eigene Kamera dabei und schoss mehr Bilder als die offiziellen Fotografen. Als Alex und Remy an seinen Tisch kamen, gingen die ersten zehn Minuten dafür drauf, dass er sie ständig aufs Neue mit Gesten und »Hai«-Rufen bat, für ihn und mit ihm zu posieren, sodass Alex bis auf das, was in der offiziellen Presseverlautbarung stand, die der ihm zugewiesene ProTrain-Medienbeauftragte ihr am Ende des Interviews aushändigte, äußerst wenig über den Mann herausfand.
England war eine willkommene kleine Oase in einer Wüste voller Übersetzer.
Tommy Fletcher war trotz seiner von einem Nasenbruch gezeichneten Nase und der vielen Tattoos ein großes weiches Marshmallow von einem Mann. Er redete lieber über seine Familie als über den Wettkampf und vertraute Alex an, dass er Vater von vier Kindern und kürzlich stolzer Großvater eines kleinen Jungen namens Bobby geworden sei.
»Ein Großvater!«, hatte Alex entzückt ausgerufen.
»Ja. Der Kleine ist zehn Monate alt. Ein richtig toller Bursche und ein Kraftmeier wie sein Opa. Warten Sie ab, in zwanzig Jahren sitzt er statt meiner hier, und ich feuere ihn von der Seitenlinie in meinem Rollstuhl an.«
»Das haben Sie nett gesagt, auch wenn das Ende ein bisschen düster klingt.«
»Wie bitte?«
»Na, Sie in einem Rollstuhl. Ist das nicht eine ziemlich pessimistische Perspektive?«
»Eher realistisch als pessimistisch«, entgegnete er mit einem trockenen Grinsen und vertraute Alex an, dass die vielen Jahre der Teilnahme an Wettkämpfen und des nie endenden
erbarmungslosen Trainings ihren Tribut forderten und seinem Körper zu schaffen machten. »Meine Knie sind am schlimmsten betroffen«, stellte er achselzuckend fest, wobei seine blinde Akzeptanz dieser Tatsache offenkundig war. »Wahrscheinlich machen sie aber noch ein paar Jahre mit. Und was den Rest von mir angeht? Na ja, ich bin nun mal kein Haushaltsgerät. Leider gibt es auf Körperteile keine Garantie. Und ich verrate Ihnen noch etwas, das ich noch niemandem in diesem Saal verraten habe. Ich bin wegen meines Rufs und meines langjährigen Durchhaltens hier, nicht wegen meiner aktuellen Leistungen.«
Alex lächelte sanft.
Er erinnerte sie an ein altes Kriegspferd, das allseits respektiert wurde und dessen Körper von den Narben der zahllosen Schlachten gezeichnet war, in denen es gekämpft und gesiegt hatte. Sie hoffte, dass dem Kriegspferd ein glücklicher Ruhestand auf grünen Weiden vergönnt sein würde. Er schien ein grundanständiger Mann zu sein.
»Und warum nehmen Sie dann immer noch an Wettkämpfen teil? Wo Sie doch wissen, was Sie sich damit antun?«
Tommy zuckte mit den Schultern. »Wissen Sie, wie meine Familie mich nennt? Klobürste.«
»Klobürste?« Alex verzog den Mund und musste lachen.
»Ja«, entgegnete er grinsend. »Weil es ein schmutziger Job ist, den jedoch irgendjemand erledigen muss … Und sie meinen, dass ich definitiv einen an der Klatsche haben muss, dass ausgerechnet ich derjenige bin, der diesen schmutzigen Job erledigen will …« Dann wurde sein Gesicht ernst. »Ach, Alex, ich weiß auch nicht, warum ich es tue. Das ist eine Frage, die ich mir selber oft stelle. Ich denke, ich tue es aus dem gleichen Grund, aus dem wir die meisten Dinge im Leben tun. Eben weil ich es wirklich will. Und ist es nicht immer so, dass die Dinge, die wir am liebsten tun, eher schlecht für uns sind?«
»Ein betrogener Mann, dessen Leib mit Narben überzogen war, strebte mit seinem letzten bisschen Mut nach den unerreichbaren Sternen, und aus diesem Grund wurde die Welt besser«, murmelte Alex, als sie und Remy die Insel England verließen und die nächste ansteuerten.
»War das ein Zitat?«, fragte Remy.
»Don Quijote. Tommy hat mich gerade daran erinnert.«
Der nächste Interviewpartner war der Amerikaner Luke John Wilson der Dritte. Er erinnerte sie an einen übermütigen Hundewelpen, so begeistert und angetan war er von allem. Zu seinem blauen Trainingsanzug trug er einen weißen Texas-Hut, und da er sofort Gefallen an Remy gefunden hatte, bestand er darauf, ihn ihr zu schenken, nachdem sie die Bemerkung gemacht hatte, wie sehr er ihr gefalle. Sie wiederum bestand darauf, ihm ebenfalls etwas zu schenken, woraufhin er nach einem Kuss verlangte und, ohne auf ein Ja oder Nein zu warten, quer über den Tisch hechtete, um
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