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Echtzeit

Titel: Echtzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Barylli
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eingereicht werden. Aus diesem Grund wird in jedem Patentamt der Welt sogar die Minute festgehalten, um den Ersten, der eingereicht hat, zu seinem Recht kommen zu lassen.
    So, mein Herz. Jetzt kannst du mitreden. Jetzt verstehst du, was es bedeutet, wenn dir im Netz jemand die Worte hin schreibt. Von »Insel zu Insel«. Das ist eine Kulturbotschaft in ungeahnten Ausmaßen. Und das um halb drei! Ich bin also dagesessen und habe gebebt und gezittert vor Aufregung. Kann man ja wohl verstehen. Dann habe ich geantwortet. Wollen wir einmal gemeinsam unsere Wünsche waschen? Und wenn »Ja« …Wo?! Ich gebe zu, deine Formulierung war schon die höhere Schule. Aber er hat mühelos geantwortet: »Kein Strand ist nah genug. Was hältst du vom Bahnhofscafé? Morgen um halb drei Uhr … am Nachmittag?!«
    Das war genial! Findest du nicht?! Wie er die magische Uhrzeit verpackt und auf den Nachmittag umgelegt hat. Und wie er, ohne lange zu fackeln, den nächsten Tag vorgeschlagen hat. Nicht erst in einer Woche oder in zehn Tagen. Nein! Morgen! Das fand ich cool. Wieso im Bahnhofscafé, habe ich mich gefragt – aber in dieser Nacht war mir so eine Nebensächlichkeit nicht wichtig. Hätte es aber sein sollen! Das weiß ich heute. Damals wusste ich es noch nicht. Noch nicht so genau wie heute. Alles ist ein Indiz auf das Innenleben eines anderen Menschen. Alles. Alles. Alles. Die Art, wie er seine Kaffeetasse hält. Die Art, wie seine Hemden gebügelt sind. Oder ungebügelt. Der Ton, den er hat, wenn er einem Tankwart das Wechselgeld gibt. All diese Mikrodetails erzählen die Wahrheit von einem Menschen. Wichtig ist, alle Informationen aufzunehmen und sich nicht von den angenehmen und überraschenden Details blenden zu lassen. Und darüber die anderen Seiten zu übersehen.
    Leicht gesagt. Wenn man glauben möchte. Leicht gesagt, wenn man so ausgehungert ist, dass einem ein Kanten Brot wie ein Zuckerkuchen erscheint. Leicht gesagt, wenn das Bett in deinem Zimmer schon jahrelang leer geblieben ist an deiner Seite. Und mit einem Mal meldet sich jemand, der deine speziellsten Gebiete zu kennen scheint. Da ist es dann leicht dahin gesagt, dass man vorsichtig sein soll.
    In dem Augenblick willst du nichts anderes als glauben, glauben, glauben. Du willst glauben, dass da noch mehr versteckt ist. Hinter den ersten wenigen Worten, die dir vom morphogenetischen Feld erzählen. Du willst eine Hochrechnung machen und etwas in dir sagt: Tu es! Mach diese Hochrechnung! Geh davon aus, dass jemand, der genauso wie du Apfelkompott mit Vanillezucker und zwei Zimtstangen mag, auch deine Weltanschauung mag. Deine Kultur mag. Deine Musik. Deine Bilder. Deine Gerüche. Deine Theaterstücke. Deine Filme, deine Berührungen, deine Tränen, deine Küsse … Dich. Geh davon aus, dass das alles, alles, alles zusammenpassen wird. In Harmonie.
    Wenn nur einer dieser Bausteine genauso aussieht wie die Felsen, aus denen du deine »Festung der Einsamkeit« errichtet hast. Wer jetzt zum Beispiel weiß, dass es sich bei der »Festung der Einsamkeit« um den Rückzugsort von »Superman« handelt … der kann doch nur aus deinem Kulturfeld stammen! Oder?! Die Antwort lautet leider: Nein!
    Leider bedeutet ein Lächeln am falschen Ort noch gar nichts. Außer dass da ein Mensch eben mal Lust hatte zu lächeln. Hitler hat auch Schäferhunde gestreichelt. Und dabei gelächelt. Wie viele Menschen leben völlig vereinsamt und lächeln dann plötzlich, wenn sie auf der Straße einen Schäferhund streicheln?! Sehr viele. Aber dieses Lächeln, das sie alle verbindet, heißt leider gar nichts. Es sagt nicht das Mindeste darüber aus, wie ein Mensch die restlichen 1437 Minuten des Tages verbringt. Nachdem er einen Hund gestreichelt hat. Für drei Minuten. Lächelnd.
    Ich habe mich also in jener Nacht, vor fünf Monaten, voll in die Kommunikation fallen lassen. Nachdem ich seinen Namen herausgefunden hatte. Herbert.
    Herbert hieß mein neuer Bekannter aus den unendlichen Weiten des weltweiten Netzes. Herbert erzählte mir in der Folge, ganz zutraulich, dass er dreiundvierzig Jahre alt sei und Arzt. Röntgenologe, um genau zu sein. Herbert hat sich dann selbst sehr lange und intensiv beschrieben. Er sei 185 cm groß. Er habe mittellanges, blondes Haar und einen gepflegten Schnauzbart. Als ich ihn fragte, warum er das Wort »gepflegt« extra hinzugefügt hatte, antwortete er, dass er kein Statist in einem Wikingerfilm der 60-er Jahre sei, dem der Met und das Fett aus dem

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