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Echtzeit

Titel: Echtzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Barylli
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mir. »Opium« zu meinem weißen Minirock und der transparenten Bluse. Eine Augenweide, meine Liebe! Eine Augenweide.
    Gott sei Dank hatte ich die transparente Bluse nicht ausgemustert. Nach Ibiza. Weil … nur im weißen BH konnte ich ja schlecht in dem Ferienbeginncafé seiner Kindheit einlaufen! Andererseits hatte er durch den transparenten Look sofort die Erinnerung an das Foto, das ich ihm gemailt habe. Raffiniert, nicht wahr?
    So ausgerüstet finde ich mich also im Bahnhofscafé ein. Fünf Minuten nach der verabredeten Zeit. Das ist das Anrecht einer unnahbaren Dame – finde ich … Er saß natürlich schon da und war etwas scheu und zauberhaft befangen. Er ist aufgestanden und hat mir die Hand geküsst. Dabei ist er leicht rot geworden! Wirklich! Dann haben wir uns gesetzt und er hat natürlich große Probleme gehabt, mir in die Augen zu schauen … weil er mir dauernd auf die Bluse geschaut hat. Sehr süß. Wirklich. Eine Mischung aus Schuljunge und Mann von Welt und daher eine gute Partie …
    Wieso hat den noch keine andere? Hab ich mir gedacht und drei Minuten nachdem ich mich gesetzt hatte, wurden auch schon zwei Himbeerkuchen vor uns auf den weißen, viereckigen Blechtisch gestellt. Und zwei Milchkaffee.
    »Mein Gott, sind Sie aufmerksam«, habe ich gehaucht. Gehaucht. So wie Grace Kelly das hauchen würde … wenn ihr Gary Grant ein Diamantcollier umlegen würde. Über den Dächern von Nizza. So habe ich das gehaucht. Weil ich mir dachte: Der fährt mit Sicherheit auf die devote, feminine Nummer ab. Und wie recht ich damit hatte! Du erinnerst dich, warum ich dir all das erzähle? Ja?! Um dir ins Bewusstsein zu rufen, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Und geglänzt hat er ganz mächtig. Ungefähr eine Viertelstunde lang. Die hat er genützt, um mir von seiner Arbeit zu erzählen. Von seinem Haus am See. Am Ufer selbstverständlich. Mit offenem Kamin. Und Doppelgarage. Für seine zwei Autos. Den Mercedes für den täglichen Gebrauch. Und den Bugatti aus dem Jahr 1962 … in Moosgrün … für die entspannenden Ausfahrten im Mai … in die umliegenden Berge … ja und von seiner Liebe zur Kunst und zur Kultur, hat er mir erzählt und von seiner Begeisterung für religiöse Rituale der Naturvölker.
    Das klang alles mehr als interessant und ich habe mich oft gefragt, warum den noch keine hat?! Dann hat er begonnen, mit etwas leidender Miene über das Verhältnis von Mann und Frau zu sprechen. In unserer heutigen, wertelosen Zivilisation. Er hat in dem zunehmenden Kampf der Geschlechter eine größere Bedrohung für unseren freien Westen gesehen, als es Osama bin Laden jemals sein könnte. Im Gegenteil, Osama könnte sogar eine Chance für den freien Westen sein, meinte er, weil dieser Mann Teil einer Geisteskultur ist, die Mann und Frau noch in ihren Gott gemachten Aufgabenbereichen schützt. Ja. Schützt. Das hat er gesagt. Ich habe das alles mit sehr interessiertem Gesichtsausdruck angehört und dabei meinen Kuchen gegessen.
    Warum hat den noch keine andere!? … Hab ich gedacht. In den Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten gibt es doch sicher dutzende attraktive Minirockträgerinnen, die ganz heiß darauf sind, bei einem Röntgenologen am Seeufer unterzuschlüpfen. Dann müssen sie sich nicht mehr dem Konkurrenzdruck stellen. Schneiden die Rosen. Und decken den Tisch. Während ich mir diese konservativ-reaktionären Gedanken durch meinen Kopf gleiten lasse, beugt er sich plötzlich vor und nimmt meine Hand und legt eine schwarze, kleine Schachtel daneben. Neben meine und seine Hand. Auf den viereckigen Blechtisch. In seinem Lieblingscafé. Am Bahnhof. Wo ununterbrochen die Zugabfahrten aufgerufen werden … sehr romantisch.
    »Ich glaub es nicht, was jetzt gleich passieren wird« – denke ich mir noch – und im nächsten Augenblick passiert es. Er drückt meine Hand etwas zu fest, schaut mir direkt und offen und leicht gestresst in die Augen und sagt den Satz: »Susanna, willst du meine Frau werden?«
    Ja … dann sitzt du dann erst mal da und musst tief durchatmen. Um 16 Uhr 43 Minuten. Genau zur Abfahrt des Eurocity nach Berlin.
    Ich werde dir jetzt einen finsteren Teil meiner schwarzen Seele enthüllen: Ich war verdammt froh, dass er das nach nur einem halben Kuchen beim ersten Rendezvous gefragt hatte! Weißt du, warum? Weil ich genug hatte. Ich hatte genug von dem Alleinsein, von den Rendezvous, die alle in der Boxenstraße enden, von den Versagern, von den sexuell Abartigen, von meinem

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