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Echtzeit

Titel: Echtzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Barylli
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Lebensweg! Um genau zu sein …
    Jesus Maria, dachte ich mir. Da war es bereits halb sechs Uhr. Der geht aber ran! Aber so ist das nun mal bei diesen Alphamännchen. Glaubst du, man wird mit Zaudern und Zögern zum Leiter der Röntgenabteilung? Nie und nimmer! Ich habe mich dann noch eine Stunde berieseln lassen von seinen Musikvorstellungen, seinen modischen Vorlieben: Miniröcke, Lederhosen und Tweed. Das waren seine Highlights. Dann seine musikalischen Vorlieben: Tschaikowsky, Pink Floyd und Zithermusik aus Kärnten.
    Was für ein vielfältiger Mann und Mensch, dachte ich mir. Die krassesten Gegensätze vereint dieser Mann mühelos unter dem Hut seiner Allgemeinheit. Das lässt ihn schillern. Das hat ihn auf eine unaussprechliche Weise mysteriös gemacht. Vor allem, als er mir gestanden hat, dass er Kaviarersatz liebt. Auf Senfbrot. Na gut, habe ich mir gedacht – ich suche ja auch einen Mann und nicht Bocuse. Und wenn der Kerl eben einen Hauch von Luxus auf etwas Scharfem braucht … dann werde ich eben immer ein paar Döschen Fischrogen in die Ferien schleppen und Senf. Aus Dijon …
    Apropos Dijon. Zum Abendbrot habe ich ihm dann noch ein Rezept gemailt! »Gateau de framboises«. Mit Mürbteigboden und dünner Vanillecremeunterlage! Unter den Himbeeren. Ich habe das mal im »Café de Flore« gegessen. In Paris, gleich nachdem du mit Stefan weggezogen bist.
    Ich dachte mir damals: Wann ist der Moment besser, sich etwas Gutes zu tun, als dann, wenn man am Boden liegt? Also habe ich kurzerhand die Air-France gekapert und auf ging’s – nach Paris! Ja, und damals habe ich mir diesen Kuchen drei Mal am Tag bestellt. Ich bin draußen gesessen, an den kleinen runden Tischchen mit den Holzstühlen und der grün-weißen Bespannung. Auf den Sitzflächen. Und den Rückenlehnen … da draußen ist es nicht so aufgefallen, dass ich den zweiten Kuchen in seine Einzelteile zerlegt habe. In archäologische Schichten, gewissermaßen. Und das Geheimnis war die Vanillecreme. Das war nämlich Puddingmasse! Ganz dünn aufgelegt. Auf den Mürbteigboden. Und drauf die Himbeeren. Und! Ich glaube, die haben ein klein wenig Kardamom in den Pudding getan! Nur ein klein wenig! Aber der Franzose ist ja raffiniert! Wie wir wissen … Zu Hause habe ich das Ding dann einmal nachgebacken. Hat ähnlich geschmeckt. Fast. Sehr ähnlich. Du weißt ja, es hängt sehr viel von der Umgebung ab, in der man etwas isst. Mortadella zum Beispiel schmeckt wirklich nur in Italien gut. Bei uns hier empfinde ich sie immer als etwas fettig, seifig. Wenn du verstehst, was ich meine. Aber gut. Ich hatte damals auch einen Aschenbecher mitgenommen. Im »Café de Flore«. Die stehen gestapelt im 1. Stock. Gleich neben dem Fenster, wenn man zu den Toiletten geht. Und die hatten so viele. Und ich hatte gar keinen. Na, und jetzt hab ich eben einen. Klein, rund, weiß … mit grüner Schrift im Boden. »Café de Flore«. Gefällt mir. Und den hatte ich auf meinem Küchentisch stehen, als ich meinen Himbeerkuchen gegessen habe. Den nachgebackenen. Und ich habe eine Gauloise dazu geraucht. Die aus der roten Schachtel. Und einen »Café au lait« hab ich mir auch gemacht. Das hatte was. Für ein paar Sekunden war ich in der Stadt der Liebe. In meiner kleinen Küche. Na gut. Und dieses Rezept habe ich ihm eben geschickt. Vom »Gateau de framboises«. Ich dachte, er schmilzt mir am anderen Ende.
    »Ob ich ihm diesen Kuchen im weißen Minirock servieren könnte … eines Tages. Kleiner Scherz!«
    Stell dir vor, er hat doch tatsächlich »Kleiner Scherz« geschrieben! Um halb sieben haben wir uns dann Lebewohl gesagt. Mit dem hundertfachen Hinweis, dass es ja nicht mehr lange ist bis zum Nachmittag. Ich habe mich also hingelegt und es ist mir tatsächlich gelungen, noch vier Stunden zu schlafen.
    Dann bin ich aufgestanden, habe meinen Workout gemacht. Kaffee aufgestellt, geduscht und nach einem schönen Frühstück mit der Restaurierung begonnen. Meiner selbst! Kleiner Scherz. Ich hatte ja lange keinen Auswärtstermin gehabt und war dementsprechend ein wenig aus der Übung. Also Lockenwickler anheizen … ohne sich die Finger zu verbrennen … Make-up auflegen … Wimpern tuschen mit dem neuen Volumenvergrößerer. Du weißt, welchen ich meine?! Verklebt ganz entsetzlich die Wimpern, aber dadurch wirken sie tatsächlich voluminöser. Weil eben so viel Pampe drin klebt. Na gut. Lippenstift. Lipgloss. Etwas Rouge. Und zu guter Letzt »Opium«. Das haut ihn um! Dachte ich

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