Echtzeit
lange mit diesem Rätsel der Seele beschäftigt. Mit dem Rätsel, das das Lebensthema jedes Menschen ist. Warum bin ich hier? Warum bin ich so, wie ich bin? Was kann ich tun, um die Tür zu finden? In dem dunklen Zimmer? Was immer dir begegnet auf deinem Weg, kann dir helfen, vorher an diese Tür zu kommen und sie zu öffnen. Ich habe das Gefühl, ich bin mittendrin. Manchmal spüre ich schon den leichten, frischen Wind, der draußen vor der Tür weht.
Die Frage aller Fragen lautet nämlich: Was ist da draußen? Was ist diese seltsame Freiheit eigentlich, nach der wir uns alle so sehnen? Zumindest diejenigen, die von der Tür Bescheid wissen. Von der Tür ins Freie. Diese Frage kann jeder nur für sich beantworten. Aber ich würde dir so gerne sagen, was diese Freiheit für mich bedeutet. Für mich, deine Freundin. Ja, Isabell, das bin ich, immer noch. Und vielleicht werde ich das auch für immer bleiben. Und das ist das Gefühl der Freiheit, von dem ich träume.
Ich möchte gerne ein Mensch sein, der einfach lebt. Auch dann, wenn ich nicht zurückgeliebt werden sollte. Ich möchte ein Leben führen, in dem es mir egal ist, ob ich für meine Liebe mit Liebe belohnt werde – oder nicht. Verstehst du? Bedingungslos! Verstehst du mich? Das ist für mich die große Freiheit! Wenn ich lieben kann, ohne etwas zu erwarten.
Das übe ich. Jeden Tag. Das ist für mich der Weg zur Tür. Dass ich täglich übe, nichts zu erwarten. Einfach leben und atmen und lieben. Und wenn es ankommt, ist es gut – und wenn jemand nicht will, dass ich liebe, dann ist es auch gut. Ich werde nicht aufhören damit. Dazu ist das Leben zu kurz. Viel zu kurz. Ich möchte nicht eines Tages an der Schwelle zu meinem Tod stehen und mir sagen: Du hast zu wenig geliebt, Susanna. Du hast darauf gewartet, dass das Leben lieb zu dir ist – um zu Recht zurücklieben zu können. Aber dieses Spiel kennt keinen Gewinner. Wenn man geizig ist, dann vermodert man. Bei lebendigem Leib. Unsere Seele und unser Herz.
Das ist wie ein klarer Bach, der in einen See fließt, dort darf das Wasser eine Zeitlang bleiben. Dann aber muss es aus dem See weiterfließen, um lebendig und frisch zu bleiben. Wenn der See geizig ist und das Wasser nicht frei gibt, dann wird es zum Stillstand kommen. Es wird brackig werden und brechen. So ist es mit unseren Herzen. Nur wenn das Herz gibt, bedenkenlos gibt, bleibt seine Kraft erfrischend und voller Leben. Ja, so denke ich. So denkt deine Freundin. In ihrer grünen Wohnung. Mit ihrem Kaffee in der Hand. Und in dem Kaffee duftet es nach »Carlos Primero«. Das ist meine Situation.
Ich trinke ein wenig, weißt du. Weil es die Sache leichter macht. Die Sache mit dem Leben. Und die Sache mit der Liebe. Wenn ich nämlich ehrlich bin, dann muss ich dir sagen, dass ich noch nicht dort bin. Dort in dem inneren Frieden, in dem man all das kann, wovon ich dir gerade erzählt habe.
Einfach gesagt: Ich kann es noch nicht. Ich kann noch nicht ohne Erwartung mein Herz öffnen und zusehen, wie es sich verströmt. Weißt du, warum? Ich weiß noch nicht, wie ich damit umgehen soll, was durch mein offenes Herz hereinkommt. Von außen, von der Welt. Von den anderen Menschen. Ich fürchte, dass man mir ansieht, dass ich auf der Suche bin. Mit offenen großen Augen. Und mit offenen Gefühlen. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Vampire das merken. Die Gefühlsvampire. Es gibt sie. Kein Scherz.
Es gibt Menschen, die haben ein ganz spezielles Radarsystem entwickelt. Ein Gefühlsradar. Diese Menschen erkennen, wenn du auf der Suche bist und dich bei dieser Suche öffnest. Wie ein Wolf im tiefen Wald wittern sie deinen Geruch. Dein Geruch sagt ihnen: Halt! Da gibt es jemanden, der sein Schild gesenkt hat. Da gibt es jemanden, der offen ist. Und wenn diese Menschen das erkannt haben, dann stürzen sie sich auf dich und dein offenes Herz und beginnen dich auszusaugen. Auf unsichtbaren Ebenen. Das ist viel gefährlicher, als Dracula es jemals sein kann. Weil man diesen Menschen nicht an ihren Eckzähnen ansieht, wie gefährlich sie sind. Sie haben unzählige Methoden, um an deine Energie heranzukommen. Sie reden auf dich ein und drängen dir ihre Probleme auf. Nur zum Beispiel. Sie reden und reden und erfassen wie ein Hai auf Beutezug, dass du bereit bist, zuzuhören. Und wenn du das tust, dann bist du schon ihr Opfer. Dann bist du schon in ihrem Bann. Sie suchen nämlich nicht das Gespräch. Nein, diese Vampire suchen ein Opfer, dem sie ihren
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