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Echtzeit

Titel: Echtzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Barylli
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Zumindest in seinem enttäuschten Sehnsuchtsrausch, aber abgesehen davon … es hat mich auf eine Idee gebracht … Geld. Warum sollte ich nicht ein kleines Nebeneinkommen haben? Hm?
    Ich meine, ich müsste ja nicht deswegen in hüfthohen roten Lackstiefeln am Bahnhof herumstehen, bei jedem Wetter und irgendwelchen Geschäftsreisenden einen blasen. In ihrem Auto. Das sie in der Tiefgarage geparkt haben. Mit dem sie in der Früh zum Bahnhof gefahren sind. Und am Abend, nach dem Geschäftstag außerhalb wieder zurückfahren werden. Nach Hause. Zu Mutti. Da ist es doch recht entspannend, noch kurz einen geblasen zu bekommen? Bevor der eiserne Vorhang wieder fällt! Nicht wahr?
    Nein! So weit musste ich nicht gehen, du hast keine Ahnung, wofür die Typen bereit sind zu zahlen. Für getragene Slips zum Beispiel … echt … die Japaner stehen auf Schulmädchenslips … kein Scherz. Du darfst ja nicht vergessen, dass du nicht nur mit den Wahnsinnigen aus deinem Kulturkreis sprichst, sobald du ins Netz gehst. Du bist ja in einer Sekunde mit dem Teil der Welt verbunden, der gerade nicht schläft … so wie bei uns, wo du fast die Einzige bist, die nicht schläft.
    Also habe ich mir mal eine Adresse geben lassen – in Kyoto! Und habe versprochen, sieben meiner Slips zu schicken. Von jedem Tag der Woche einen! Ich habe angegeben, dass ich zwölf Jahre alt bin und blonde Haare habe und blaue Augen. Darauf stehen die Japaner! Echt. Und ich habe geschrieben, dass ich noch kein eigenes Konto habe und das Geld mit einem Brief bekommen möchte. Als Adresse habe ich den »Mister Minit-Laden« angegeben. Unten. Bei mir. Wir haben da so ein Abkommen. Der Verkäufer und ich.
    Was ist passiert? … Siebzig Dollar kamen an! Zehn Dollar pro Höschen. Ich dachte, mein Schwein pfeift. In einem Brief. Da hat der Samurai noch darum gebeten, ob er ein Foto von mir haben könnte, damit er besser an mich denken kann … du verstehst? Also, was soll ich sagen, ich habe mir sieben XS-Slips gekauft und mit allen gleichzeitig meine Küche aufgewischt, dann habe ich ein Foto von Avril Lavigne auf einem Kopierer kopiert, ausgeschnitten und mitgeschickt. Hinten hatte ich noch drauf geschrieben: »Alles Liebe – Samantha.« In Deutsch … damit es noch mal exotischer wirkt. Dann bin ich dagestanden und habe mir die siebzig Dollar angeschaut.
    »Bin ich jetzt eine Hure oder eine Geschäftsfrau?«, habe ich mich gefragt und mir sofort selbst die Antwort gegeben. »Wo ist der Unterschied?«, lautete die Antwort. Kleiner Scherz.
    Aber du wirst lachen. Irgendwie bin ich nicht froh geworden mit dem Geld. Es hat zwischen den Fingern gebrannt. »Du begibst dich auf einen schmalen Grat«, hat mein Schutzengel mir zugeflüstert und ich wusste, was er damit meint. Der Moment kann kommen, an dem du dir sagst: Was soll’s?! Es gibt keinen Mister Right. Die Einsamkeit ist erdrückend. Irgendwann wird dein Körper rebellieren und sein Recht verlangen. Dann wirst du vielleicht ein wenig um die Häuser ziehen, wirst vielleicht einen Weißwein zu viel trinken und dann schleppst du irgendeinen Typen ab und gibst ihm das Gefühl, dass er dich abgeschleppt hat. Und am nächsten Morgen wachst du auf und schaust ihn dir an … und dir wird hundeelend und all das nur, weil dein Körper und deine Haut wieder mal eine Berührung gebraucht hat. Wäre es da nicht einfacher, man tauscht ein wenig Berührungen aus … so, eine Sekunde lang … und bekommt dafür von dem Aushilfstypen auch noch eine Menge Kohle und muss am nächsten Morgen keine sinnlosen »Werden-wir-uns-wiedersehen-Monologe« abwürgen.
    Hm. Da kommt eine schöne Stange Geld zusammen. Glaub mir, das geht ganz schnell. Ich weiß das und die meisten wollen nicht einmal irgendwelche ausgefallenen Sachen … Schläge oder Fesseln oder so … nein, nur ein bisschen Rein-Raus. Das war’s … und du hast 100 Euro mehr in der Tasche.
    Tja, die Verführung, dabei zu bleiben, ist verdammt groß. Aber ich habe mir gesagt: Wenn man da hängen bleibt, rutscht man sehr langsam, aber sicher von der Ebene, auf der man sich befunden hat. Das nennt der Volksmund dann: »Die schiefe Bahn« …
    Schon toll, was der Volksmund für Bilder in seinem Repertoire hat. Lauter kleine Dichter. Der Volksmund! Irgendeiner muss all das ja mal zum ersten Mal gesagt haben und dann haben es alle übernommen. Aber der eine, unentdeckte Volksmund wird niemals persönliche Ehren erfahren.
    Na ja … ohne schiefe Bahn … warte mal, ich muss kurz auf

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