Echtzeit
so genau, weil ihr geschiedener Mann solche Seminare leitet. Also der Mann, der ihr Mann wurde und von dem sie sich dann wieder hat scheiden lassen, der leitet so was. Vor ihrer Ehe, während der Ehe und jetzt wohl auch noch danach. So genau wollte ich nicht Salz in ihre Wunden streuen.
»Na gut«, habe ich gefragt, »aber warum trommeln und weinen sie im Wald? Das tun sie doch ohnehin in den Bars rund um den Bahnhof?!«
»Das machen sie«, hat mir die Qigong-Gruppenleiterin erzählt, »um wieder in Kontakt mit ihrem verschütteten, inneren, wilden Mann zu kommen!«
»Aha«, habe ich gesagt. »Wilde Männer weinen, das ist mir neu und wennschon … wer hat sie verschüttet?«
»Das ist unsere Zivilisation«, hat die Qigong-Gruppenleiterin gesagt. »Die Zivilisation, die uns schon bei jeder Tankstelle, an jeder Autobahnabfahrt vorgefertigte Dreieck-Sandwiches in die Hand drückt. Diese Zivilisation hat alle Instinkte und Triebe beim Mann verschüttet.«
»Aha«, habe ich gesagt, »und darum fangen sie jetzt die armen Forellen mit der Hand und hauen sie mit dem Kopf so lange auf einen Stein, bis die Augen rausplatzen?«
»Ja«, hat die Lehrerin gesagt, »denn nur durch solche archaischen Tiefenerfahrungen kann sich der Mann wieder auf seine Herkunft besinnen. Als Jäger und Versorger. Und nur dadurch bekommt er Zugang zu seiner inneren Macht. Zur Macht und dadurch letzten Endes zur Güte. Weil wahre Männlichkeit darin besteht, töten zu können. Das töten zu können, was getötet werden muss. Das Wild, um die Gruppe zu ernähren und im spirituellen Sinn den inneren Feind, der verhindert, dass der Mann zu seinen edelsten Tugenden aufläuft!«
»Die da wären?!«, habe ich ganz naiv gefragt.
»Stärke, Kraft, Güte, Freundlichkeit, Beschützertum, Liebesfähigkeit.« Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.
Ist ja toll, habe ich mir gedacht, warum lässt die dann so einen Paradekerl wieder ziehen, habe ich mich gefragt. Wenn das die Grundtugenden des wilden Mannes sind – wie viel Tugend wird dann der Typ haben, der all das den anderen Typen vermittelt?!
Nun war ich natürlich jenseits jeder Schamgrenze neugierig geworden. Jetzt wollte ich es wissen.
»Verzeihung«, habe ich also gefragt, »warum habt ihr euch dann scheiden lassen? Der Typ klingt nach einem Kerl, mit dem ich gerne ins Naturschutzgebiet wandern würde?!«
»Ja«, hat sie gesagt, »das haben auch viele andere Frauen so gesehen.«
Er hat nämlich den wilden Mann, der bei ihm außerordentlich energetisch hoch entwickelt war, pausenlos auf die Jagd geschickt. Nicht nach Forellen. Sondern nach Hasen. Kleiner Scherz.
Die Leiterin hat das natürlich politisch korrekter formuliert. Sie meinte, dass sie diese Kraft sehr wohl verstehen kann, dass sie aber in ihrer inneren sanften Frau entdeckt hat, dass sie sehr gerne hätte, wenn ihr Beschützer nur sie beschützen würde.
So ähnlich wie es Sarah Connor gegangen ist. Im Terminator. Terminator 2. Da gibt’s die Szene, in der sie zuschaut, wie Arnold – also der Terminator – mit ihrem Sohn spielt. Ganz entzückend. Arnold lässt sich von dem kleinen Knirps schlagen, hauen und treten und blickt dabei die ganze Zeit über nur völlig unbeeindruckt durch seine Terminatorbrillen. Die Schwarzen. Und Sarah erkennt, dass es genau das ist, was sie sich von einem menschlichen Roboter immer erhofft hatte. Also von einem Durchschnittsmann. Die ultimative Hinwendung. Das Ausschließliche. Einen Typen, der unbeirrt nur für sie da ist und ihre Brut. Eine Maschine, mit anderen Worten.
Hollywood weiß sehr genau, dass es die Frauen sind, die entscheiden, in welchen Film gegangen wird. Und dort bekommen sie dann solche Vorbilder serviert. Terminator. Wilder Mann. Kann Forellen mit der Hand fangen – und das nur für mich. Na gut.
Da ihr eigener wilder Mann aus Fleisch und Blut war und dementsprechend umständlich zu programmieren – besser gesagt – gar nicht zu programmieren war, ist logischerweise nur die Trennung übrig geblieben. Er fängt weiterhin alle möglichen Tiere ein … und sie hilft verstockten, einsamen Weibern zu dreimaliger Enteinsamung während der Woche.
Ich hingegen. Ich habe aus dieser Geschichte für mich die Lehre gezogen. Angriff! Das war meine Lehre. Ich habe die Eckpunkte zusammengezählt. Trommeln habe ich gelernt. In den einsamen Nächten an meinem Küchentisch. Weinen ist überhaupt kein Problem und das mit den Forellen ist mir wurscht … ich mag keine Forellen. Nur
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